001 - Im Zeichen des Bösen
warmem Tierblut aus silbernen Kelchen. Zwittergeschöpfe reckten ihm ihr Hinterteil entgegen, Kobolde krallten sich in seinem Haar fest, Fledermäuse bissen ihn, Krähen hackten mit ihren Schnäbeln nach ihm. Er ließ alles mit sich geschehen.
Und dann war er plötzlich frei. Für einen Moment ließen die Quälgeister von ihm ab, und als er sich das Tierblut aus den Augen gewischt hatte, sah er Vukujev vor sich, den Geistesgestörten aus Asmoda. Er steckte seinen Kopf zu einer Tür herein und rief verschwörerisch: »Hierher, hierher!«
Dorian glaubte an eine Sinnestäuschung. Er würde sich von den Dämonen nicht in die Falle locken lassen. Wahrscheinlich warteten hinter dieser Tür noch viel ärgere Schrecken auf ihn. Taumelnd kam er auf die Beine und wandte sich dem Fenster zu, das links neben der Tür lag. Er kletterte auf den Sims und ließ sich gegen die Scheiben fallen. Das bunte Glasornament zerbarst splitternd. Dorian erblickte durch den Glasregen eine nahe Baumkrone und tief unter sich einen steil abfallenden Hang. Für einen Moment setzte sein Herz aus. Er befand sich nicht zu ebener Erde, sondern in einem der höher gelegenen Stockwerke. Wenn er stürzte, würde er fünfzehn Meter tief fallen.
»Nicht, Herr!« Jemand packte ihn von hinten und zog ihn zurück in den Korridor. Es war Vukujev. Der Geistesgestörte führte ihn in einen Raum und schloß die Tür hinter ihnen.
Das erste, was Dorian sah, war das auf einem mit Samt bezogenen Podest aufgebahrte Mädchen. Im ersten Augenblick dachte er, daß es Lilian wäre, doch dann erkannte er die Magd, die ihn in der Herberge angefleht hatte, sie aus Asmoda fortzubringen. Offensichtlich war ihre Angst nicht unbegründet gewesen.
»Ist sie tot?« fragte Dorian.
»Nein«, erwiderte Vukujev grinsend. »Mein Kuß hat sie umgehauen.«
Dorian zog dem Mädchen das verrutschte Nachthemd zurecht und blickte den Irren von der Seite her prüfend an. »Hast du sie etwa aufs Schloß gebracht?«
Vukujev nickte. »Ich wollte der Gräfin einen Gefallen tun.«
»Ist dir denn überhaupt klar, was du diesem Mädchen damit angetan hast, Vuk?«
Der junge Mann krümmte sich und starrte ihn aus großen unschuldigen Augen an. »Ich wollte Anja nichts tun«, sagte er. »Wirklich – ich könnte ihr nie etwas antun. Ich mag sie. Sie selbst hat mich zu sich ins Bett geholt und an mir herumgefummelt.«
»Verstehst du denn wirklich nicht?« fragte Dorian noch einmal.
Als der Irre nichts entgegnete, ging er zu einem bequemen Lehnstuhl und ließ sich hineinfallen. Im Moment war ihm alles egal; er wollte nur dasitzen und sich entspannen. Die Geräusche der Hexen und Dämonen drangen wie aus weiter Ferne zu ihm herüber, sie schienen aus einer anderen Welt zu stammen. In diesem Zimmer herrschten tiefe Ruhe und friedliche Stille. Dorian konnte nicht sagen, warum es so war, aber er fühlte sich irgendwie geborgen. Dieser Raum schien die einzige Oase in einem schrecklichen Alptraum zu sein. Nur allzu bereitwillig ließ Dorian sich von der Atmosphäre einlullen. Er hatte es nötig, sich zu entspannen, um sich für die kommenden Schrecken zu wappnen.
»Du mußt doch wissen, was die Gräfin vorhat«, versuchte er den Idioten noch einmal zu beschwören. »Du hast sie doch längst durchschaut, habe ich recht?«
Vukujev starrte ihn verständnislos an. Dann aber hellte sich seine Miene auf. »Jetzt begreife ich, was du meinst«, sagte er. »Die Gräfin ließ Anja nur Ihretwegen kommen, nicht wahr? Ich habe das Anja gesagt, um sie aufs Schloß zu locken, aber sie weigerte sich. Darum mußte ich sie überlisten. Ich habe schon gefürchtet, daß sie aufwacht. Wenn sie merkt, daß ich sie hintergangen habe, wird sie furchtbar wütend auf mich sein. Aber sie wird mir nicht böse sein, wenn sie erfährt, daß Sie der Fürst sind.«
Dorian preßte seine Finger gegen die müden Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er, daß Vukujev vor ihm kniete. Er blickte ihm forschend ins Gesicht und kam zu der Überzeugung, daß Vukujev überzeugt war, die Wahrheit zu sprechen.
Dorian seufzte. »Hast du schon öfter junge Mädchen aufs Schloß gebracht?« fragte er.
Vukujev nickte. »Schon oft. Die Gräfin war immer mit mir zufrieden.«
»Und weißt du, was aus diesen Mädchen geworden ist?«
Vukujev hob die Schultern. »Manche habe ich später wiedergesehen, andere nie mehr. Die Gräfin hat mir aufgetragen, manche Mädchen noch mal zum Schloß zu bringen. Bei einigen war das nicht nötig, denn sie
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