001 - Vampire unter uns
ziehender Schmerz am Arm drang in mein Bewusstsein.
Ich gewahrte Willie an meiner Seite. Wütend griff ich nach seinem Kopf und stieß ihn zur Seite. An mir nicht, Bestie! Der Schmerz, als ich seine Zähne aus meinem Fleisch riss, ließ mich aufschreien. Ich rollte herum und trat mit dem Fuß nach dem kleinen, weichen Bündel. Es flog auf die andere Seite des Zimmers, prallte gegen die Wand und blieb regungslos liegen.
Keuchend stemmte ich mich hoch. Ich fühlte, dass ich bereits Blut verloren hatte. Aber ich hatte ihn erwischt.
Ich war frei.
Taumelnd stand ich auf und machte Licht. Felbermanns Anblick verursachte mir Ekel, und ich brauchte alle Beherrschung, um mich nicht zu übergeben. Aber mein Hauptinteresse galt Willie.
Er lag verkrümmt an der Wand: Aus Mund und Nase sickerte Blut.
Wahrscheinlich mein Blut, dachte ich sarkastisch. Ich hob ihn hoch und warf ihn erneut zu Boden. Ich empfand kein Mitleid.
Und ich fühlte mich nicht als Mörder. Es war nichts Menschliches, das ich zerstörte.
Das war es: Ich tötete nicht – ich zerstörte.
Und nun fliehen.
Ich stieß auf dasselbe Problem, das auch Dr. Felbermann gehabt hatte; ich fand den Schlüssel nicht. Unter der Kontrolle des Kindes musste ich ihn irgendwo hingelegt haben. Ich war nicht nur Sklave, ich war auch Gefangener gewesen.
Das Telefon war tot. Ich konnte keine Hilfe herbeiholen. Ich musste die Tür aufbrechen. Es war der einzige Weg.
Ich ging zum Werkzeugschrank.
Als ich vor dem Schreibtisch stand und unter den Schreibutensilien vergeblich nach Schraubenzieher und Zange suchte, hielt ich verblüfft inne. Ich war auf dem Weg zum Werkzeugschrank gewesen …
Ich fuhr herum und blickte in Willies große, kalte Augen.
Ich wollte mich wehren, aber das war nach einem Augenblick vorbei. Wie ein Schlafwandler setzte ich einen Fuß vor den anderen. Ich hob Willie auf. Ich wusch ihn und verband seine Wunden. Sein kleiner Körper war zerschlagen, aber er schien nichts davon zu spüren. Kein Ton der Klage oder des Schmerzes kam über seine Lippen.
Als ich ihn versorgt hatte, soweit es die Mittel der Hausapotheke ermöglichten, blieb nur noch eines zu tun: Ich öffnete mein Hemd und zerrte den Kragen beiseite.
Dann hob ich das Baby an meine Brust.
Sein Mund war eiskalt, als er fast liebkosend über meinen Hals wanderte. Einen Augenblick später zuckte ich zusammen, als er die Zähne in meine Ader schlug. Danach kam der ziehende Schmerz, verursacht durch das Saugen und den Entzug des Blutes.
Später wurde mir schwindlig, und ich musste mich setzen.
Minuten danach lag ich mit bleiernen Gliedern auf dem Bett.
Willies Appetit musste längst gestillt sein. Dass er weitersaugte, hatte einen anderen Grund.
Er wollte mich töten.
Ich erwachte noch einmal – nachts.
Es war still. Die Stadt schlief. Ich versuchte mich zu bewegen. Es war ungeheuer mühevoll. Nicht, weil ich unter Willies Bann stand, sondern weil ich keine Kraft in meinen Armen und Beinen hatte.
Eine fast wohltuende Schwäche war in meinem ganzen Körper. Ich glaubte zu schweben. Selbst das Hungergefühl war verschwunden.
Willie sah ich nicht. Erst als ich den Kopf ein wenig zur Seite drehte, erblickte ich ihn neben mir auf dem Bett. Seine Augen glänzten in der Dunkelheit.
Es gab kein Entrinnen. Ich war zu schwach, um von diesem Lager jemals wieder aufzustehen. So lag ich reglos bis zur Morgendämmerung und wartete.
Einmal noch bäumte ich mich auf, als jemand an die Tür klopfte und rief: »Herr Mertens! Herr Mertens! Sind Sie zu Hause?« Aber ich brachte nicht die Kraft auf zu antworten.
Als die Schritte sich draußen entfernten, krabbelte Willie auf mich und schlang seine Babyarme um mich. Sein kalter Mund strich mit einer hungrigen Zärtlichkeit über meinen Hals, die mir ein letztes Gefühl vermittelten … Schauder.
Ein Geräusch.
Das knirschende Geräusch einer Schaufel, die in den Boden gestoßen wird, dann das Poltern von Erde und Steinen auf Holz – direkt über mir. Ich versuche aufzustehen, aber es geht nicht.
Da ist ein Hindernis. Stimmen dringen leise an mein Ohr, doch ich kann sie nicht verstehen.
Es ist stockdunkel.
Ich liege ruhig, sehe nichts, fühle nichts. Ich höre nur das Poltern der Erde über mir.
Ein feiner Geruch ist in der Luft, vor dem es mich ekelt – Weihrauch.
Ich weiß nun, wo ich bin. Ich weiß, worauf die Erde fällt: auf meinen Sarg.
Ich bin eben geboren worden. Bald werden sie das Grab zugeschaufelt haben und
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