001 - Vampire unter uns
grenzenlose Erleichterung, doch dann setzten die Schmerzen in meinem zerschlagenen Gesicht und meinem Bauch ein Ich überlegte krampfhaft. Was war geschehen? Philosophen aller Zeiten behaupteten zwar, Schmerz sei der eindeutige Beweis der Existenz, aber ich war auch ohne ihn recht überzeugt von meinem Dasein gewesen. Die nächste halbe Stunde verbrachte ich an meinem Arzneischrank. Danach sah ich zwar noch nicht viel besser aus, aber, der Schmerz hatte einer wohltuenden Kühle Platz gemacht. Willie schlief friedlich in seinem Bettchen. Eine Weile blickte ich nachdenklich auf die Wohnzimmeruhr, die drei Uhr anzeigte. Nachmittags.
Langsam wurden meine Gedanken zielsicherer. Ich erkannte drei Dinge, die äußerst beängstigend waren. Erstens: Willies Appetit hatte zugenommen. Er brauchte jeden zweiten Tag Nahrung. Zweitens: Ich konnte niemanden empfangen und niemanden besuchen, mein zerschlagenes Gesicht hätte sicherlich Aufsehen erregt. Und drittens und am bedeutsamsten von allem: Ich war Willies Sklave!
Es konnte nicht mehr der Einfluss des Magiers sein, dass ich mich bewegte wie eine hilflose Puppe. Nur Willie und ich kannten die Gefahr, in der wir in diesem fremden Haus schwebten, als der Mann mich zusammenschlug. Nur Willie konnte es gewesen sein, der die Kontrolle übernahm und uns beide sicher zurückbrachte. Es gab für mich keinen Zweifel.
Am nächsten Tag rief ich Felbermann an und sagte meinen Besuch bei Martha in der Klinik ab. Mein Gesicht war verquollen. Ich las die Zeitung aufmerksamer als sonst, fand aber keinen Hinweis auf unseren ›Überfall‹. Dennoch wagte ich mich nicht auf die Straße. Am Tag darauf erwachte ich erst am späten Nachmittag. Ich wusste sofort, dass wir wieder ausgewesen waren, denn ich war vollkommen angezogen. Aber zumindest hatte ich keine neuen Beulen und Wunden.
Geschlagen hatte ich mich diesmal offenbar nicht. Aber es war ein teuflisches Gefühl zu wissen, dass man etwas Schreckliches getan hat, und nicht zu wissen, was, wer mochte es diesmal gewesen sein?
Willie war satt. Daran konnte es keinen Zweifel geben.
Langsam kannte ich sein Verhalten und den Ausdruck seines kleinen hässlichen Gesichts. Zum ersten Mal begann ich ihn wahrhaftig zu hassen. Er benutzte mich wie ein Werkzeug, das die fehlende Kraft und Behändigkeit seiner Babyglieder ersetzen sollte. Was vorher nur Furcht gewesen war, wurde nun kalter Hass. Was konnte ich nur tun? Felbermann kam an diesem Tag. Ich wagte nicht, ihn abzuweisen. Er ließ sich mit einer Erklärung über eine nächtliche Rauferei abspeisen, in die ich zufällig geraten war. Willie verhielt sich mustergültig. Als Felbermann ging, war ich nicht sicher, ob er alles für bare Münze genommen hatte, oder ob er misstrauisch war. Es erschien mir auch gleichgültig. Er konnte ja doch nichts für mich tun. Nur ich konnte etwas für mich tun. Ich ganz allein.
Wieder verging ein Tag, und wiederum fand ich nichts in der Zeitung. Wie war das möglich? Die Opfer mussten uns doch gesehen haben, bevor sie das Bewusstsein verloren. Sie mussten wissen, dass ein Mann und ein Kind sie überfallen hatten. Oder wurden sie auch das Opfer einer Illusion und wussten danach nicht mehr, was geschehen war?
Wahrscheinlich.
Ich kam sehr spät ins Bett an diesem Abend, denn ich hatte stundenlang versucht, mir Pläne zurechtzulegen, wie ich mir Willie vom Hals schaffen konnte. Doch immer war die Angst wie ein Schreckgespenst in mir wach geworden.
Willies Futtertag! Das war mein erster Gedanke, als ich aufwachte. Instinktiv wappnete ich mich gegen den Schock des Erwachens in einer fremden Umgebung mit einem bewusstlosen Opfer zu meinen Füßen. Aber ich lag. Über mir sah ich die vertraute, weiße Decke des Schlafzimmers. Ich seufzte erleichtert Mein Blick wanderte zur Uhr. Halb eins! Ich fuhr hoch. Hatte ich wirklich so lange geschlafen? Dann sah ich mich im Spiegel gegenüber, und das alte flaue Gefühl war wieder da. Ich trug einen Anzug. Mit einem Ruck riss ich die Bettdecke zur Seite. Ich lag mit den Schuhen im Bett Ich war also bereits fort gewesen. Aber warum war ich diesmal nicht wach geworden? Eine mörderische Wut überkam mich, ohne dass ich eigentlich genau wusste, warum. Es war doch leichter zu ertragen, wenn ich gar nicht erst wusste, was ich tat. Es ersparte mir Gewissensbisse, Mitleid und all die anderen Anwandlungen, die ich beim Anblick eines hilflosen Opfers empfand, die Selbstvorwürfe ebenso wie den Hass auf Willie.
Es war nicht
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