0011 - Das Todesschloß
Fasan. Er aß nur, um nicht aufzufallen. Er hatte keinen Hunger, und obwohl die Gerichte vorzüglich waren, entwickelte er keinen Appetit. Die innere Spannung ließ dieses Gefühl nicht aufkommen. Das saftige Fleisch schien trocken.
In einer Ecke auf einem Podium begann eine Band zu spielen. Bekannte Evergreens hallten durch den Salon und die anderen Räume.
Einige Paare begannen zu tanzen. Auch Gladys und Winston waren darunter. Sie tanzten auf die offene Terrassentür zu. Im Salon begann es heiß zu werden.
Auch Nicole hatte sich einen Tänzer geschnappt. Es war ein Jüngling mit pickeligem Gesicht und einer viel zu kleinen Nase. Es hätte seines Harlekinkostüms nicht bedurft, um zu zeigen, wes Geistes Kind er war. Er war irgendein zur Sattheit erzogener Adeliger, der ansonsten die Melone nur beim Schlafengehen vom Kopf zog.
Nicole tanzte mit ihm in die Nähe des Terrassenausgangs. Offensichtlich konnte sie von dort aus das junge Paar beobachten, denn sie machte keine Anstalten, ebenfalls den Raum zu verlassen.
Wenig später kamen Gladys und Winston zurück. Sein Gesicht war leicht gerötet, und das lag nicht nur an der Hitze.
Meredith Gloombstone hatte sein Mahl beendet. Doch es schien ihm nicht gut bekommen zu sein, denn er lehnte bleich an einer der Säulen, die die Decke der Halle stützten. Aber bald richtete er sich wieder auf und machte einige unsichere Schritte auf einige andere Gäste zu.
Zamorra ließ ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen. So wurde er Zeuge, wie sich Meredith Gloombstone immer seltsamer benahm.
Leute, mit denen er sprach, machten indignierte Gesichter und zeigten ablehnende Mienen. Zamorra konnte nicht jedes Wort verstehen, das Meredith zu ihnen sprach, doch seine Gesprächspartner schienen den Eindruck zu haben, er wäre sinnlos betrunken.
Doch Meredith Gloombstone hatte, abgesehen von einem Glas Portwein, nichts Alkoholisches zu sich genommen. Selbst wenn man noch in Erwägung zog, daß er vor dem Aufbruch nach Exmoor Castle noch ein oder auch zwei Glas Pfefferminzlikör zu sich genommen hatte, so rechtfertigte diese Menge an Alkohol noch nicht seinen Zustand.
Der Herr der Schwarzen Burg taumelte zwischen den Reihen der Gäste hindurch. Als Ernest Earl of Blakeborne das Verlöbnis zwischen seiner Tochter und dem Leutnant zur See Winston Bannet verkündete und Sir Francis anschließend der versammelten Mannschaft mit einem Glas ›Rum‹ zuprostete, hing Meredith Gloombstone bleich am Treppengeländer und stierte auf die wertvollen indischen Teppiche. Lange hielt er das nicht mehr durch. Mitternacht näherte sich…
***
Meredith Gloombstone wischte sich über die schweißnasse Stirn.
Was war nur mit ihm los an diesem Abend? Er hatte die Tabletten, die sein Hausarzt ihm immer verordnet hatte, brav geschluckt. Doch diesmal wirkten sie nicht. Der Herr der Schwarzen Burg torkelte durch die in Gruppen herumstehenden Gäste und drückte sich an den tanzenden Paaren vorbei. Er brauchte Luft.
Viel frische Luft. Vielleicht würde ihm draußen besser werden. Es mußte ihm einfach besser werden. Lange hielt er das nicht mehr aus.
Es war zum Aus-der-Haut-Fahren. Er erinnerte sich dunkel, daß er ähnliche Situationen schon früher durchlebt hatte, doch die Erinnerung daran war blaß, viel zu blaß, als daß sein zermartertes Gehirn die Vorgänge in ihrer vollen Tragweite erkennen hätte können.
Meredith Gloombstone wehrte sich verbissen gegen die Macht, die inmitten all dieser Leute von ihm Besitz zu ergreifen begann, aber Gloombstone war schwach. Viel zu schwach für den machtvollen Geist seines Urahns Ebenezer. Immer kleiner wurde die Insel, auf die sich sein Ich verängstigt gerettet hatte, immer näher kamen die Wogen, die ihn in den Schlund der Bewußtlosigkeit reißen wollten.
Meredith wollte einen klaren Gedanken fassen. Die Luft im Salon schien ihm zum Schneiden dick.
Die Terrasse war besetzt, und der Herr der Schwarzen Burg lenkte seine Schritte automatisch in den Innenhof hinaus und hinüber zu den Trauerweiden, die ihm feucht ins Gesicht schlugen, ihn ein kurzes Stück in die Gegenwart zurückbrachten.
Die Nachtluft floß kühl in seine brennenden Lungen. Die Gedanken beruhigten sich.
Doch waren es wirklich die Gedanken von Meredith Gloombstone, die in seinem Gehirn kreisten?
Meredith wurde ruhiger, doch war es nicht er selbst, der ruhiger wurde.
Der pausbäckige harmlose Mann entging seinem Schicksal nicht.
Fremde Gedanken spülten die seinen weg wie die
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