0014 - Der schwarze Henker
nicht schneller als die anderen Behörden.« Wir umrundeten die Kirche und gelangten zu einem kleinen schmucken Einfamilienhaus.
Es war ein Pfarrhaus.
Der Konstabler deutete auf die Baumkronen, die hinter der Mauer zu sehen waren. »Dort liegt unser normaler Friedhof«, sagte er. »An der Westseite des Grundstücks gibt es ein Tor, durch das wir auf den Friedhof gehen können.«
Während er sprach, legte er seinen Zeigefinger auf den Klingelknopf. Wir hörten die Scholle, doch niemand öffnete uns.
»Seltsam«, murmelte der Konstabler. »Der Gärtner hat uns doch gesagt, der Pfarrer ist im Haus.«
»Vielleicht schläft er noch«, vermutete ich.
»Nein, Sir, der nicht. Er hat zwar schon seine Jahre auf dem Buckel, aber mit seiner Arbeit nimmt er es ernst.«
Ich stieß mit der Hand gegen die Tür. Gar nicht mal bewußt, sondern aus einem Reflex heraus.
Die Haustür schwang nach innen.
Der Konstabler knetete seine Nase. »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr«, sagte er. Ich drückte mich an dem Mann vorbei und betrat als erster das Pfarrhaus.
Die Stille fiel mir auf.
Ich war in einen schmalen Flur gekommen und ging auf Zehenspitzen weiter. Von irgendwoher hörte ich ein Ticken.
Flüsternd fragte ich den Konstabler nach dem Grund des Geräusches. »Das wird die alte Standuhr in seinem Arbeitszimmer sein«, erwiderte er.
Der Konstabler übernahm jetzt die Führung. Er war nicht zum erstenmal in diesem Haus.
Zum Arbeitszimmer ging rechts von der Treppe eine Tür ab. Sie stand Spaltbreit offen.
»Pfarrer O’Flaherty?« rief der Konstabler »Herr Pfarrer, melden Sie sich bitte.« Bellow betrat das Arbeitszimmer. Ich folgte ihm dicht auf den Fersen. Plötzlich blieb er stehen, als sei er vor eine unsichtbare Wand gelaufen. »Mein Gott«, flüsterte er.
Ich sah es in der gleichen Sekunde. Der Pfarrer saß auf seinem hochlehnigen Stuhl hinter dem Schreibtisch. Sein Oberkörper war nach vorn gesunken. Mit der Stirn berührte er die Schreibtischplatte. Der Rücken bildete einen Bogen.
Und in dessen Mitte, genau unter dem dritten Wirbel, steckte ein Messer!
***
Der Pfarrer war tot. Die Haut hatte sich bereits abgekühlt, also mußte er mitten in der Nacht umgebracht worden sein.
»Nichts berühren«, sagte ich. »Gehen Sie nach draußen, Bellow und fragen Sie den Gärtner, ob ihm etwas aufgefallen ist.«
»Okay, Sir!«
Ich sah mich inzwischen im Arbeitszimmer des Pfarrers um. Man hatte es durchsucht. Dafür sprachen alle Anzeichen.
Aber wer?
Der Henker? Mir fiel die Gestalt ein, die sich auf dem Hof des Hotels herumgetrieben hatte. Der Henker hatte also doch einen Helfer in Pitlochry.
Langsam durchquerte ich das Zimmer. Bis zur Decke reichten die Bücherregale an den Wänden. Ich entdeckte zahlreiche Werke der Weltliteratur. Jemand hatte die Bücherreihen durchwühlt. Viele Werke lagen übereinander, andere waren zu Boden gefallen.
Den alten Schrank entdeckte ich in einer kleinen Nische. Stutzig machte mich das moderne Schloß des Möbelstücks. Was wurde in dem Schrank aufbewahrt?
Ich wußte es zwei Sekunden später, als ich die Tür mit dem aufgebrochenen Schloß aufgezogen hatte.
Vor mir lagen die Kirchenbücher. Nach Jahrzehnten sortiert, stapelten sie sich bis zur Decke des Schranks.
Und das Jahrzehnt zwischen fünfzehnhundertsiebzig und fünfzehnhundertachtzig fehlte.
Der Mörder hatte also gefunden, was er suchte.
Wir waren zu spät gekommen.
In diesen Augenblicken überfiel mich eine Phase der Depression. Zwar gab ich mir nicht die Schuld am Tod des Pfarrers, aber ich hatte rascher reagieren sollen.
Was war vor vierhundert Jahren geschehen? Was hatte in dem Kirchenbuch gestanden?
Der Konstabler kam zurück. Sein Gesicht war leichenblaß. Er vermied es, den Pfarrer anzusehen.
Fragend blickte ich den Beamten an.
»Nichts, Sir«, sagte er. »Der Gärtner weiß auch nichts.«
»Aber er hat doch gesagt, der Pfarrer sei im Haus.«
»Er hat es angenommen. Gesehen hatte er ihn nicht. Ich glaube nicht, daß der Mann lügt.«
»Okay«, sagte ich und dann: »Der Mörder hat etwas gesucht und auch gefunden. Und zwar die Kirchenberichte des Jahres, in dem der Henker umgekommen ist.« Der Konstabler schluckte. Nervös fummelte er an seinem Krawattenknoten herum. »Dann… stimmt es doch, daß Moro einen Helfer bei uns im Ort hat.«
»Genau.«
Ich ging zum Telefon. Der schwarze Apparat stand auf dem Schreibtisch. »Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Mordkommission zu alarmieren.« Von
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