0014 - Der schwarze Henker
Bollow ließ ich mir die Nummer geben und wählte. Mit knappen Worten gab ich einen Lagebericht. Der Beamte am anderen Ende der Leitung war ziemlich sauer. Ich konnte ihn sogar verstehen. Von Dundee bis nach Pitlochry war es ein ziemlich weiter Weg.
»Sie bleiben hier im Haus«, wies ich den Konstabler an.
»Und Sie?« fragte er.
»Ich habe einige Besuche vor. Ich bin ziemlich sicher, daß noch jemand weiß, was in den alten Kirchenbüchern steht…«
***
»Ja, Sir, hier bei mir hat sie gewohnt«, sagte Mrs. O’Casey, faltete ihre Hände zusammen und legte sie in den Schoß.
»Wir vermieten nur zwei Zimmer und als Miß Paine sich nach einem Zimmer erkundigte, da habe ich nicht nein gesagt. Das junge Mädchen war mir auf Anhieb sympathisch. Ich hätte auch gern eine Tochter gehabt.«
Ich saß Mrs. O’Casey in deren Wohnstube gegenüber. Es war ein kleiner Raum mit zwei schmalen Fenstern und einer etwas altertümlich verspielt wirkenden Einrichtung. Mein Geschmack war es nicht. Nun ja, Mrs. O’Casey stammte aus einer anderen Generation.
Ich lehnte mich in dem hohen Ohrensessel zurück. »Ihr Mann ist nicht zufällig hier?«
»Nein, Sir. Er arbeitet im Bürgermeisteramt. Ist dort Mädchen für alles. Er kümmert sich um die Heizung, die Registratur und vieles andere. Er ist unabkömmlich.«
»Verstehe.« Von dem Mord an dem Pfarrer hatte ich nichts erwähnt. Die Frau würde es früh genug erfahren. Sie saß auf dem Stuhl wie ein Schulmädchen. Die Beine etwas angezogen und kerzengerade. Sie hatte ein rundes Gesicht mit gutmütig blickenden Augen. Das graue Haar war im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt. Die Lippen waren dünn und schimmerten bläulich. Die Haut jedoch hatte einen frischen Teint. Ein Zeichen, daß Mrs. O’Casey sich viel in der freien Luft bewegte.
»Sie wissen selbst, was mit Mr. Cromwell geschehen ist«, sagte ich, wartete ihre Antwort erst gar nicht ab, sondern fragte direkt weiter. »Ist Ihnen auch bekannt, was sich vor vierhundert Jahren abgespielt hat?«
Die Frau nickte. »Ja«, erwiderte sie dann mit kaum zu verstehender Stimme. »Ihr Vorfahre gehörte damals auch zu den mutigen Männern, die gegen den Henker zu Felde gezogen sind.«
»Ich weiß.«
Mrs. O’Casey senkte den Blick. Sie wußte, worauf ich hinaus wollte. Gab jedoch keine Erklärung.
»Haben Sie keine Angst, daß der Henker Sie besuchen könnte. Sie und Ihren Mann.«
»Doch, ich habe Angst.«
»Dann müssen wir etwas dagegen unternehmen«, forderte ich sie auf.
Mrs. O’Casey hob den Kopf. Zweifelnd blickte sie mir ins Gesicht. »Man kann den Henker nicht besiegen. Darüber sollten Sie sich klar sein, Sir.«
»Oh, da bin ich anderer Meinung.«
»Sie kommen aus der Stadt, Sir. Wissen wahrscheinlich nicht, was sich hier auf dem Land noch alles tut. Ihr lacht über unsere Geschichten. Aber sie sind wahr, Sir. Sie haben es ja selbst erlebt.«
»Mrs. O’Casey.« Ich sprach eindringlich. »Ich lache nicht über das, was geschehen ist. Ich kämpfe gegen die Mächte der Finsternis. Es ist mein Beruf und meine Mission.«
Ich berichtete ihr aus meinem Leben und merkte, wie sie auftaute, wie sich der zweifelhafte Ausdruck auf ihrem Gesicht glättete und in ihren Augen Vertrauen aufblitzte.
»Sie sind ein guter Mensch, Sir«, sagte sie schließlich. »Ich glaube Ihnen. Wenn Sie es nicht schaffen, dann schafft es keiner. Gott stehe Ihnen bei.«
»Aber zuerst müssen Sie mir helfen«, sagte ich.
»Wieso?«
»Es muß etwas geben, womit man den Henker besiegen kann. Eine Waffe, zum Beispiel. Ich weiß nicht, welcher Art, aber auch ein Dämon ist nicht unbesiegbar.« Mrs. O’Casey zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, Sir.«
»Ich greife mir diese Formulierungen nicht aus der Luft, Mrs. O’Casey. Ich war beim Pfarrer, wollte in alten Kirchenbüchern nachschauen, doch es ist eingebrochen worden. Man hat gerade das Buch gestohlen, das ich gesucht habe. Also enthält es eine Botschaft, die für den Henker gefährlich werden könnte.«
Mrs. O’Caseys Blick glitt an mir vorbei. »Dann ist der Henker in das Pfarrhaus eingebrochen?«, flüsterte sie.
»Ich weiß nicht, ob es der Henker war, Madam.«
»Aber wer dann?«
»Das will ich unter anderem auch herausfinden. Und Sie sollen mir dabei helfen. Wer, zum Beispiel, wußte davon, daß in dem Kirchenbericht etwas steht, was dem Henker gefährlich werden könnte?«
»Der Pfarrer.«
»Sonst niemand?«
Sie überlegte.
Ich half ihr auf die Sprünge. »Was ist
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