0015 - Der Morddämon
Warum sollte hier nicht ein Chinese entlanggehen? Zamorra aber war immer noch in höchster Alarmbereitschaft.
Er tastete nach seiner Waffe im Hosenbund, riß sie hoch.
Jetzt hob der Chinese den Kopf. Er hatte ein glattes Puppengesicht.
Doch die eiskalten Augen wollten nicht zu der lächelnden Miene passen.
Zamorra spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten. In der Tiefe des Unterbewußtseins war ihm klar, daß er einen Dämon vor sich hatte, ein Gespenst in Menschengestalt.
»Kennen Sie die Pagode da oben?« fragte Zamorra ruhig. »Ist sie bewohnt?« Aus dem Stand sprang der Chinese ihn an. Einen Atemzug lang erkannte Zamorra den Haß in den böse funkelnden Augen.
Dann versetzte Zamorra seinem Angreifer einen Boxhieb gegen den Hals.
Der Chinese wurde zurückgeworfen und fletschte die Zähne. Diese Zähne waren für Zamorra ein weiterer Beweis, einen Dämon vor sich zu haben. Es waren Knochensplitter, und es sah grausig aus, als er den Mund öffnete.
Die Handfeuerwaffe war in Zamorras Linke übergewechselt. Als der Chinese abermals zum Sprung ansetzte, schoß er.
Der Schuß traf, fuhr dem Chinesen in die Brust, doch man sah kein Einschußloch, keinen Brandfleck im grauen Kittel, und die furchtbare Fratze lächelte noch immer mit eisigen Augen und fletschendem Mund. Sie gab ein Geräusch von sich, das wie das hohe Singen einer Peitschenschnur klang.
Grauen packte Zamorra. Der Dämon war unverwundbar. Zufällig fiel sein Blick auf die gespreizten Hände des Ungeheuers. Er erstarrte. Er hatte sich schon vielen Dämonen Auge in Auge gegenübergesehen. Doch so etwas hatte er noch nie erlebt. An den zehn Fingern saßen dort, wo die Fingernägel sitzen sollten, spitze, scharfe Klingen.
Er mußte an die verstümmelten Leichen in der Wellington Street denken. Ja, er hatte einen der Morddämonen vor sich, es war kein Zweifel möglich. Das Geschöpf grinste wütend und sprang von neuem auf ihn zu. Eine Sekunde zu spät ging Zamorra in Abwehrstellung.
Der Unheimliche in der Maske eines Chinesen schlug Zamorra die Waffe aus der Hand. Er verfügte über gewaltige Kräfte. Es waren die Kräfte des Bösen, die ihm der Satan verliehen hatte.
Er drängte Zamorra zurück. Es blieb dem Professor gar nichts anderes übrig, als zurückzuweichen und auf eine günstige Gelegenheit zu warten, um sich erfolgreich zu wehren.
Aber dazu kam es nicht mehr. Zamorra stand auf einer abschüssigen Stelle und verlor die Balance. Sofort war der Dämon über ihm.
Fauliger Atem streifte Zamorra. Die Bestie drängte ihn brutal auf den Felsenboden und kniete sich breitbeinig über ihn. Wieder hörte Zamorra das hohe, singende Geräusch der Peitschenschnur. Er nahm seine ganzen Kräfte zusammen und versuchte, das schwere Gewicht, das auf ihm hockte und ihm die Luft abzuschnüren drohte, fortzuschieben. Der Gestank, den das Untier über ihm ausströmte, war kaum noch zu ertragen. Zamorra ächzte.
Da begann die Bestie zu lachen. Mit beiden Mörderhänden fuhr sie Zamorra an die Jackenaufschläge und riß sie zur Seite. Dann gruben sich die spitzen Finger in das Hemd und zerfetzten es. Die Bestie grunzte. Sie hob die Hände mit den zehn scharfen Schneiden und wollte sie Zamorra in die Brust stoßen, da entdeckte sie im Widerschein des fahlen Mondes, der über Hongkong hing, das Amulett an der schmalen goldenen Kette.
Es war, als würde der Dämon geblendet.
Professor Zamorra lag still. Obwohl ihn Todesangst beherrschte, verließ ihn doch nicht sein wissenschaftliches Interesse an diesem Dämon in der Chinesenmaske.
»Es ist das Amulett des Guten«, sagte er. »Es ist stärker als die Macht, die dich beherrscht.«
Zamorra sprach langsam und betont.
Er spürte, wie der Dämon zusammenzuckte, wie das Gewicht auf seinem Körper sich verringerte. Es war gespenstisch. Es war, als würde man einer lebensgroßen Gummipuppe die Luft auslassen.
Die Haut des Chinesen wurde faltig, lasch, fiel zusammen. Jetzt gelang es Professor Zamorra mühelos, ihn zur Seite zu schieben und aufzuspringen.
Innerhalb weniger Sekunden verwandelte sich der Dämon in ein Skelett, fiel innerhalb weniger Atemzüge zusammen und blieb als kleiner Knochenhaufen liegen.
Ganz langsam nur atmete Zamorra auf.
Das war knapp gewesen. Er tastete über seine Brust und bemerkte, daß sie dort, wo die Bestie sie mit den Fingerspitzen berührt hatte, stark blutete. Doch es waren nur Kratzwunden.
Um ein Haar , dachte Zamorra, hätte er mich genauso getötet, wie die armseligen
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