0015 - Der siebenarmige Tod
beruhigen. »Hör zu, Tony. Wir sollten uns die Sache erst einmal in Ruhe überlegen.«
»Was gibt’s denn da zu überlegen?«
»Ich schlage vor, wir rufen deinen Großvater an und bitten ihn hierher zu kommen. Dann ist auch er aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich heraus.«
Tony winkte verzweifelt ab. »Man kann ihn nicht anrufen.«
»Hat er kein Telefon?«
»Doch. Aber er ist von Beruf Nachtwächter und schläft am Tage. Und damit ihn das Telefon nicht stört, legt er immer den Hörer neben den Apparat. Glauben Sie mir, Miß Collins, es gibt keine andere Möglichkeit, ihn zu warnen, als zu ihm zu fahren.« Tony hob flehend die Hände. »Ich bitte Sie, lassen Sie mich gehen. Ich komme so bald wie möglich wieder zurück.«
Jane schüttelte entschieden den Kopf. »Allein machst du keinen Schritt aus dem Haus!«
Tonys Augen glitzerten begeistert. »Sie wollen mitkommen?«
Jane seufzte. »Ich werde wohl müssen.« Die Detektivin holte ihre Handtasche. »Also komm. Ich bringe dich zu deinem Großvater.« Sie verließ mit dem Jungen die Wohnung.
Wenig später saßen die beiden in Janes uraltem, frisiertem VW, dem keiner ansehen konnte, was er unter der Haube hatte.
Jane wußte, daß John diese Spritztour nicht gefallen würde, aber was hätte sie tun sollen? Den Jungen allein losziehen zu lassen, wäre die schlechteste Lösung gewesen.
***
Das Hämmern an der Tür hörte sich wie dumpfes Donnergrollen an. Geoff McNamara vernahm es trotz der dicken Wattestöpsel, die er in den Ohren stecken hatte. Erschrocken starrte er die Decke an, dann setzte er sich wütend auf und schlug mit der Faust auf die Bettdecke.
»Eine Frechheit sondersgleichen ist das, einem alten Mann seinen wohlverdienten Schlaf nicht zu gönnen!« maulte er.
Wieder trommelten ungeduldige Fäuste gegen die Tür. Ein Eilbrief vielleicht? Oder ein Telegramm?
McNamara schüttelte mürrisch den Kopf. Wer hätte ihm schon schreiben oder telegrafieren sollen?
Er überlegte kurz, ob er sich überhaupt die Mühe machen und aufstehen sollte, doch, dann siegte seine Neugier. Er schlug die Decke zurück und verließ das Bett.
Auf dem Weg zur Tür schlüpfte er in seinen abgetragenen Schlafrock, der vor vielen Jahren eine Menge Geld gekostet hatte. Deshalb konnte er sich davon nicht trennen, obwohl es eigentlich dafür an der Zeit gewesen wäre.
In Kunstlederpantoffeln schlurfte er durch die Diele.
Im Garderobenspiegel steckte ein Zettel mit Tonys Handschrift. Der Junge hatte in großer Eile eine kurze Nachricht daraufgeschrieben:
Bin zu Scotland Yard gegangen. Brauchst dir deswegen aber keine Sorgen zu machen. Erkläre dir alles, wenn ich zurückkomme. Gruß Tony.
Was sucht der Junge beim Yard? fragte sich Geoff McNamara erschrocken. Er nahm den Zettel ab, faltete ihn zusammen und steckte ihn ein. Für ihn stand mit einemmal fest, daß Tony und Harry etwas ausgefressen hatten. Das hatte er schon lange befürchtet. Natürlich hatte Harry Podwil Tony dazu verleitet. Harry war ja immer der Anstifter. Und nun hatte sich Tony auf der Polizeistation für seine Taten zu verantworten.
Dann konnte der Kerl, der so ungestüm gegen die Tür getrommelt hatte, nur ein Polizist sein.
Geoff McNamara sah in den Spiegel und strich sich das graue Haar aus der Stirn.
Da hämmerten die ungeduldigen Fäuste zum drittenmal gegen die Tür. Der Nachtwächter zuckte zusammen. Er wandte sich mürrisch um und knurrte: »Ja, ja. Ich komm ja schon!«
Er machte die Tür mit Schwung auf.
In der nächsten Sekunde starrte er sein Gegenüber fassungslos an. Da stand – es war kaum zu glauben – er selbst… sein Doppelgänger!
***
Geoff McNamara war so fassungslos, daß er keine Worte fand. Der andere grinste ihn amüsiert an und machte einen Schritt auf ihn zu. »Hallo, Geoff!«
»Zum Donnerwetter, wer sind Sie?« fragte McNamara überwältigt.
»Mein Name ist Red Rozzo«, sagte der andere.
»Sie sehen haargenau so aus wie ich. Wie ist das möglich? Meines Wissens hatte ich keinen Bruder.«
»Vielleicht bin ich das Ergebnis eines Seitensprungs deines Vaters oder deiner Mutter.«
Geoff McNamara riß empört die Augen auf. »Was erlauben Sie sich! Meine Eltern waren anständige Menschen. Ich dulde nicht, daß man schlecht über sie spricht.«
Red Rozzo betrat unaufgefordert die Wohnung des Nachtwächters, der über soviel Frechheit dermaßen entrüstet war, daß er vergaß, sich dem Mann in den Weg zu stellen. Im Gegenteil. Er wich vor Rozzo zurück. Der
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