0017 - Wolfsnacht
Straße gefunden. Sie wurde von irgendeinem wilden Tier angefallen. Der Professor meint, es wäre ein großer Schäferhund oder sogar ein Wolf gewesen. Na ja, Sie kennen ihn ja. Wenn der nicht sein Geheimnis hat, dann verliert er die Lust am Leben.«
»Jetzt mal langsam, Nicole«, unterbrach Bill sie. »Soll das heißen, daß wir unseren Urlaub streichen können?«
»Nein, nein. Wir kommen nur ein bis zwei Tage später nach Rom. Wenn Sie so lange warten können, ohne Langeweile zu haben, würden Sie dem Professor sicher einen großen Gefallen tun. Lassen Sie die Damen in Ruhe, und benehmen Sie sich nicht zu sehr daneben.«
Bill lachte laut auf. »Mir geht es eher umgekehrt. Die Damen lassen mich nicht in Ruhe. Und mehr daneben benehmen, als ich es jetzt schon getan habe, kann ich mich nicht. Okay, zwei Tage, mehr nicht. Wenn ihr bis dahin nicht eingetrudelt seid, komme ich euch entgegen. So long.«
»Ja – so long«, murmelte Nicole geistesabwesend und legte den Hörer auf die Gabel.
Dann ging sie in den Speisesaal und setzte sich an den Tisch, der für sie reserviert war.
Den jungen Kellner, der sie mit stechendem Blick musterte und ihr den Kaffee einschenkte, hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen – zumindest kam ihr an dem aristokratischen Gesicht bewußt nichts bekannt vor.
***
Was es war, wußte Zamorra nicht zu sagen, doch irgend etwas an dem Arzt war ihm nicht geheuer. Eine völlig unbewußte Ahnung hatte ihn veranlaßt, das Amulett umzulegen. Und diese Ahnung festigte sich zur Gewißheit.
Während er mit dem Doktor gesprochen hatte, wurde er von einem Unbehagen und einer inneren Unruhe gepackt, die nur auf die magischen Kräfte des Amuletts zurückzuführen war. Schließlich ermöglichte es ihm ja, dämonische Kräfte in seiner Umgebung aufzuspüren.
Und das war im Haus des Arztes der Fall gewesen.
Auch erschien es ihm höchst sonderbar, daß die hübsche Italienerin, die er in der Nacht gefunden hatte, nichts über ihre Erlebnisse zu berichten wußte.
Immerhin hätte ihr ja der Doktor erklären müssen, wie sie in sein Haus gelangt war. Es war, als litte sie unter Gedächtnisschwund.
Der stechende Blick des alten Mediziners, der ihn so eindringlich prüfend angestarrt hatte, erhärtete in Zamorra den Verdacht, daß er über hypnotische Fähigkeiten verfügen mußte. Das wiederum traute man einem einfachen Landarzt auf keinen Fall zu. Wenn er solche Fähigkeiten besaß, dann wäre er in einer Großstadt wie Rom oder Mailand mit seinen Künsten sicher viel besser aufgehoben.
Zamorra rief sich sein nächtliches Erlebnis wieder ins Gedächtnis zurück. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr bezweifelte er, daß es sich bei dem vierbeinigen Raubtier um einen wilden Schäferhund gehandelt hatte. Eher war es ein Wolf gewesen.
Und Wölfe waren in dieser Gegend eine glatte Unmöglichkeit.
Entschlossen ging Zamorra in den Ort hinunter und suchte die Polizeistation.
Ein Einheimischer erklärte ihm den Weg, und bald hatte er das Haus mit der großen Tafel »Carabinieri« gefunden.
Er stieg drei Stufen hoch, betrat einen dämmerigen Gang und stand kurz darauf in einem kahlen Raum, der von einer Balustrade unterteilt wurde. Hinter der Balustrade sah er drei Schreibtische, an denen sich ebenso viele Beamte Mühe gaben, beschäftigt zu wirken.
Niemand kümmerte sich um den Besucher. Zamorra räusperte sich laut, und endlich bequemte sich einer der Männer in Uniform, aufzustehen und nach Zamorras Wünschen zu fragen.
»Prego, Signore. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich glaube schon. Dürfte ich mal bitte den Chef sprechen?«
»Si, si. Folgen Sie mir bitte.«
Der junge Polizist schwang sich mit einem eleganten Satz über das Geländer und ging voraus. Am Ende des Ganges befand sich eine Tür, an die der junge Beamte respektvoll klopfte.
Eine sonore Stimme antwortete, und der Polizist ging hinein. Nach einigen Sekunden erschien er wieder und bedeutete Zamorra einzutreten.
Zamorra folgte der Aufforderung – und konnte sich im ersten Moment eines belustigten Grinsens nicht erwehren. Er fühlte sich in eine klassische Operette versetzt.
Hinter einem ausladenden Schreibtisch thronte, nein, prangte ein bärtiger Zerberus in einer blütenweißen Uniform. Auch die Carabinieri des Ortes schienen genau zu wissen, was sie ihren Sommergästen zu bieten hatten.
Mit seinen leicht angegrauten Schläfen sah der Polizeikapitän aus, wie einer der adligen Freier aus der »Lustigen Witwe«. Er schien sich auch
Weitere Kostenlose Bücher