0017 - Wolfsnacht
Mittelding zwischen Tier und Mensch – mit zwei Hörnern, einem Schwanz und einem Pferdefuß.
Langsam sank der Arzt vor dem Steinblock in die Knie und beugte sich tief hinab. Dabei murmelte er Beschwörungsformeln.
»Ich bin dein Diener, o Fürst der Hölle. Erhöre mich. Hilf mir, dich zu rufen. Gib mir die Kraft, dein Reich in diese Welt zu bringen. Ich brauche noch eine Opfergabe für dich. Hilf mir, sie zu finden und zu ergreifen. Ein Mädchen, so schön wie die Sonne, die du fürchtest. Doch ihr Tod wird dir gefallen und dich rufen. Meine Diener werden sie dir darbringen. Sie wird einen von uns sehen und ihn sofort lieben. Nichts wird sie wissen von dem Einfluß, der ihr Denken lähmt. Sie wird ihm folgen und ahnt nicht, daß er einer von uns ist. Morgen nacht! Morgen nacht wird uns das Werk gelingen! Morgen! Satan, hilf!«
Erschöpft brach der alte Doktor vor dem Altar des Bösen zusammen. Für einige Minuten blieb er so liegen, dann kam wieder Leben in ihn. Er raffte sich auf und erhob sich.
Mit schweren und müden Schritten schleppte er sich zu einem Marmorsessel in einem Winkel des unheimlichen Raumes und ließ sich darauf nieder.
Sein Kopf fiel auf die Brust, und er erweckte den Anschein, tief eingeschlafen zu sein. Doch der Geist war wach und suchte sein Opfer.
***
Nicole Duval hatte ihr Essen nicht angerührt. Sie saß unbeweglich da und starrte hinaus auf den See.
Malcesine verschwand im Dunst, und die Sonne warf ihr gleißendes Licht auf die spiegelglatte Wasseroberfläche.
Kein Lufthauch rührte sich. Das Tuckern und Röhren von Bootsmotoren drang durch das geöffnete Fenster, aber Nicole hörte es nicht.
Es war, als befände sie sich in einer anderen Welt und würde nur als unbeteiligter Zuschauer das Leben auf der Erde betrachten.
Bilder entstanden vor ihrem geistigen Auge, die sie eigentlich hätten schrecken müssen. Doch sie empfand Freude dabei. Szenen voller Blut und Gewalt taten sich vor ihr auf. Sie reagierte nicht.
Der Kellner, der an der Saaltür stand, starrte sie unverwandt an. Er sah den Rücken des Mädchens und ihren Hinterkopf.
Sein Blick brannte sich an ihrem Nacken fest und schien sie bezwingen zu wollen. Die Lippen in seinem ebenmäßigen Gesicht bewegten sich unmerklich.
Sie wiederholten immer die gleichen Worte.
»Du sollst mir gehören! Du sollst mir gehören! Du sollst mir gehö- ren…!«
Als hätte Nicole die Worte gehört, hob sie den Kopf und wandte sich um. Der Blick des Mannes bannte sie geradezu. Eine nie gekannte Erregung durchströmte ihren Körper und ließ sie wohlig erschauern.
Ihr Mund öffnete sich leicht. Ihre Zunge spielte über die Lippen.
Der Kellner stieß sich von der Wand ab, an die er sich gelehnt hatte, und näherte sich dem Tisch. Als er ihn erreicht hatte und sich über den Stuhl beugte, auf dem Nicole saß, strich seine Hand wie unbeabsichtigt über die Schulter des Mädchens.
Nicole glaubte, ein Stromstoß würde durch ihren Körper rasen.
Doch dieses Gefühl war schön, ja, es versetzte sie geradezu in Ekstase.
Sie blickte in dieses Gesicht. Es kam ihr bekannt vor. Sie war sicher, es schon einmal gesehen zu haben. Aber sie wußte es nicht.
Es war ihr auch gleich. Dieses aristokratische Gesicht verzauberte sie, ließ in ihr ungeahnte Gefühlsausbrüche aufwallen. Sie streckte die Hand aus und ergriff die Hand des Mannes.
Seine Stimme war volltönend und einschmeichelnd.
»Signorina, ich möchte Sie wiedersehen. Wann haben Sie Zeit für mich? Heute abend, heute nacht? Sagen Sie nicht nein.«
Nicole nickte automatisch.
»Ja, auch ich will Sie wiedersehen. Wann? Wo?«
»Ich werde Sie rufen, und Sie werden mir folgen. Haben Sie keine Sorge, daß ich Sie nicht finden könnte. Wenn es soweit ist, werden Sie es erfahren. Heute nacht.«
Der Kellner richtete sich auf und begann, den Tisch abzuräumen.
Mit einem verträumten Augenausdruck folgte Nicole jeder seiner Bewegungen.
Ja, sie wollte diesen Mann wiedersehen, wollte ihn spüren, ihn in ihren Armen halten.
Heute nacht. Sie dachte nicht mehr an Professor Zamorra oder das Ziel ihrer Reise. Sie lebte nur dem Augenblick. Und das Glück dieses Augenblicks lag für sie in dem Mann vor ihr, nach dem sie sich sehnte.
Sie wußte nicht, warum es so war, sie fragte sich auch nicht danach. Warum auch, alles andere war ja so unbedeutend.
Und sie ahnte auch nicht, daß der Mann vor ihr ein Gesandter des Bösen war, das seine Krallen nach ihr ausstreckte.
Niemand wußte es, daß der
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