0018 - Die Hexenschwestern
ein Totengewand. Dann stürzte er nach vorn, kippte einmal um die eigene Achse und fiel auf den Boden.
Nicole sprang hinzu und hob die Fackel auf. Sie sah seine blasse Haut, die blutleeren Lippen. Da wußten beide Mädchen, was geschehen war. Die Lamias hatten das Blut dieses jungen Mannes bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken! Dann hatten sie ihn ziehen lassen. Er würde nicht mehr weit kommen. Sein Leben war ausgehaucht und sein Körper wieder dem Grab preisgegeben.
Eine Minute lang zögerten sie. Aber dann faßten sie sich ein Herz und stiegen die Treppe hinunter.
Der Fremde hatte noch einen Funken Atem in sich.
»Zurück!« hauchte er mit dahinschwindender Kraft. »Sie haben mich verhext – ein Zaubertrank – ein Gift – ich sollte euch nur hereinlocken…«
Dann erstarb seine Stimme. Nicole und Pamela hörten sie nicht mehr.
Und hätten sie die Worte gehört, sie hätten ihren Sinn nicht verstanden, weil diese Sprache ihnen zu fremd war.
So näherten sie sich Meter um Meter ihrem Verderben.
***
Zuerst fanden sie den prachtvoll ausgestatteten Raum, durch den auch Ted Larryfair gegangen war. Auch sie ließen sich von dem Prunk nicht lange beeindrucken.
Ihr Ziel war das Versteck der Lamias!
Nach kurzem Zögern entschlossen sie sich, durch eine der linken Türen zu gehen. So konnten sie nicht den Flur mit den Zellen der Geiseln erreichen.
Dafür kamen sie über einen zweiten Flur in einen weiteren Raum, der noch pompöser ausgestattet war als der erste. Nicole wollte Pamela zurückhalten, aber die junge Engländerin ging unbeirrt und ohne jede Vorsicht weiter.
Sie ging bis zur Mitte des Raumes und sah sich gründlich um. Keine Spur von Ted. Keine Spur von den blutgierigen Hexen!
Nicole warf noch einen prüfenden Blick in beide Richtungen des Flurs, dann betrat sie ebenfalls den Raum.
Nichts rührte sich. Aus diesem Zimmer führte keine weitere Tür, so daß sie also beim Verlassen wieder den Flur betreten mußten.
Sie hatten kaum einen dritten Raum betreten, als hinter ihnen die Tür ins Schloß fiel.
Erschreckt fuhren beide herum.
Da sahen sie Ana und Clea vor sich stehen.
Die beiden Lamias trugen diesmal lange Gewänder in Purpurrot.
Ihre Lippen waren blutverschmiert. Mit Grausen dachten Nicole und Pamela an den jungen Mann, der auf der Marmortreppe tot hingestürzt war.
Nicole trug noch die Fackel, die der Mann bei sich gehabt hatte.
Sie wollte an den Revolver in ihrer Tasche kommen. Aber sie konnte nicht die Tasche öffnen, die Waffe herausnehmen und gleichzeitig die Fackel halten.
In der nächsten Sekunde flog die brennende Fackel wie ein Wurfgeschoß durch die Luft. Nicole hatte auf Clea gezielt, die sie instinktiv als die älteste der Hexen und als deren Anführerin erkannt hatte.
Die Lamia gab einen gurgelnden Laut von sich, als sie die glutrote Fackel auf sich zukommen sah. Nicole konnte erkennen, daß sich die Augen der Hexe vor Furcht weiteten. Da wußte sie, daß man die Lamias mit Feuer bezwingen konnte.
Aber woher noch mehr Fackeln nehmen, um dem grausamen Treiben der Lamias ein Ende zu machen?
Clea wich zur Seite und brachte sich außer Gefahr.
Da hatte Nicole ihren kleinen Revolver schon schußbereit.
Dreimal hallten kurz hintereinander die Schüsse durch den Raum.
Ihr dröhnendes Echo setzte sich über den ganzen Flur fort.
Clea lachte höhnisch auf. Mit Kugeln konnte man ihr nichts anhaben.
Da wagte Nicole einen letzten Angriff. Ana und Clea trugen nur zwei brennende Kerzen als Lichtquellen. Sie schienen sich entweder vor dem Feuer oder dem stärkeren Licht von Fackeln zu fürchten.
Mit einem gewaltigen Sprung war Nicole Duval bei Clea und versuchte eine Art Karateschlag auf den Arm der Lamia.
Wieder lachte die Hexe höhnisch auf und versetzte Nicole mit der freien Hand einen Stoß, daß das Mädchen fast durch den ganzen Raum gewirbelt wurde. Der Schlag war von übermenschlicher Kraft. Obwohl es nutzlos war, zielte Nicole noch einmal und schoß.
Diesmal war sie vollkommen sicher, daß sie getroffen hatte. Aber auch dieser Schuß zeigte keinerlei Wirkung.
Die Lamia taumelte nicht einmal, als die Kugel mit der ganzen Wucht des Aufschlags ihre Brust traf.
Nicole hörte einen leisen, dumpfen Ton, als die Pistolenkugel auf den Teppich fiel.
In diesem Augenblick wußte sie, daß sie verloren war. Pamela hatte dem kurzen Kampf regungslos und stumm zugesehen.
Jetzt versuchte die Engländerin, durch die noch offenstehende Tür zu gelangen. Ihr Plan war, die auf
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