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0019 - Die Schreckenskammer

0019 - Die Schreckenskammer

Titel: 0019 - Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Wiemer
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bewußt wurde, daß es dafür nun wirklich nicht den geringsten vernünftigen Grund gab.
    Sie schlüpfte in ihre Frotteesandalen, wickelte sich den Bademantel um die Schultern und trat ans Fenster.
    Kalte Nachtluft traf ihre Haut. Sie schauerte leicht. Mit der Linken hielt sie den Bademantel unter ihrem Kinn zusammen, mit der Rechten tastete sie nach dem Fenstervorhang und schob ihn ein Stück beiseite.
    Die Straße lag leer in der Dunkelheit, nur erhellt vom schwachen Widerschein einer Laterne, die in einiger Entfernung noch brannte.
    Auf der anderen Seite wuchs die Silhouette des Kirchturms in die Höhe, der Platz davor wurde von den Kronen ausladender Linden beschattet. Das Kopfsteinpflaster schimmerte leicht im ungewissen Licht, zwischen den Baumstämmen ballte sich die Dunkelheit dicht und undurchdringlich wie schwarze Watte und…
    Jessicas Augen verengten sich.
    Da war ein Schatten, eine Gestalt!
    Von dem Wagen, den sie gehört hatte, konnte das Mädchen keine Spur entdecken, aber sie sah ganz deutlich die Umrisse eines hageren Mannes, der am Rande des Kirchplatzes an einem Baumstamm lehnte, zu ihrem Fenster heraufblickte und…
    Jessicas Finger verkrampften sich im Stoff des Vorhangs.
    Eine dunkle Furcht regte sich in ihr, wie gebannt starrte sie zu der Gestalt hinunter. Sie war ganz sicher, daß sie in der Dunkelheit das Gesicht des Mannes nicht erkennen konnte. Und dennoch glaubte sie, seine Augen zu sehen. Gelbe Augen! Augen, die sie unverwandt musterten, die über die Straße hinweg und durch das Fenster auf ihrem Gesicht hafteten, sie betrachteten, einschätzten und…
    Unsinn, dachte das Girl. Ich bilde mir etwas ein! Das ist doch alles verrückt, das…
    Sie wollte den Vorhang zurückschieben, sich abwenden, wieder zu Bett gehen, aber sie schaffte es nicht.
    Immer noch sah sie zu dem Mann hinunter.
    Sie spürte seinen Blick. Spürte ihn wie eine körperliche Berührung, wie eine unsichtbare Kraft, die gegen ihr Bewußtsein flutete. Irgend etwas entstand zwischen ihr und diesen gelben Augen. Etwas, das sie erschreckte. Das Furcht in ihr auslöste, ihre klare Überlegung verlöschen ließ und dem sie dennoch nicht entrinnen konnte.
    Sie schluckte krampfhaft.
    Noch einmal machte sie eine Bewegung, als wolle sie sich abwenden. Die gelben Augen hinderten sie. Sie spürte es, sie erschrak – aber es war ein seltsam ferner, bedeutungsloser Schrecken.
    Als sei sie an einen Stromkreis angeschlossen, so fühlte sie sich plötzlich mit der dunklen Gestalt dort unten verbunden. Sie kannte den Mann nicht. Aber sie wußte, daß sie auf ihn gewartet hatte, daß sie sich anziehen mußte, hinuntergehen und…
    Hinuntergehen?
    Für den Bruchteil einer Sekunde kam Jessica wieder zu sich. Ihre Augen weiteten sich. Mit erschreckender Klarheit wurde ihr bewußt, daß sie nicht nachts ihr Zimmer verlassen konnte, um zu einem Fremden zu gehen, daß sie im Begriff war, etwas vollkommen Verrücktes zu tun – aber der Moment verging so schnell, wie er gekommen war.
    Jessica drehte sich um.
    Rasch kleidete sie sich an, schlüpfte in Strümpfe und Schuhe, zog eine Windjacke über. Einen Moment lang blieb sie reglos stehen, mit gespanntem Gesicht, als lausche sie auf eine ferne Melodie, die nur sie hören konnte, dann wandte sie sich ab und verließ das Zimmer mit den starren, staksigen Schritten einer Marionette.
    Sie ging die Treppe hinunter.
    Sekundenlang lauschte sie auf die Geräusche des schlafenden Hauses, bevor sie die Hintertür öffnete. Der Regen hatte aufgehört, die Luft war so kalt, daß der Atem in weißen Dunstwolken stehenblieb. Jessica huschte durch den Garten, gelangte auf die Vorderfront des Hotels und öffnete hastig das Gartentor.
    Ihr Blick haftete an dem Schatten auf der anderen Straßenseite, als sie die Fahrbahn überquerte.
    Der Mann wartete schweigend und reglos. Seine gelben Augen sahen Jessica unverwandt an. Das Mädchen spürte den Blick, spürte ihn brennender und intensiver mit jedem Schritt, den sie machte, und ein paar Yards vor dem Fremden blieb sie stehen.
    Jetzt konnte sie auch sein Gesicht erkennen.
    Ein bleiches knochiges Gesicht. Dünne Lippen, ein langer kahler Schädel, der an einen Totenkopf erinnerte, aber Jessica fühlte bei dem Anblick keinen Schrecken.
    Der Fremde lächelte.
    »Komm«, sagte er sanft. »Mein Wagen steht da drüben. Komm mit mir…«
    Jessica nickte.
    Sie empfand weder Angst noch Verwirrung. Sie mußte mit ihm gehen. Sie wußte es, wußte, daß es nicht anders sein

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