002 - Das Henkersschwert
seine Lippen.
»Hier bist du aber sicher«, sagte er. »Hier wird dich deine Familie bestimmt nicht suchen. Diese Klinik ist der ideale Schutz für dich.«
Er packte sie an der rechten Hand und zog sie weiter.
»Laß mich los!« fauchte sie. »Laß mich in Teufels Namen los!«
»Du kommst mit«, sagte Dorian grimmig und zerrte an ihr. Coco stemmte sich dagegen, doch er war stärker. Sie taumelte hinter ihm her. Je näher sie der Klinik kamen, um so schwächer wurde ihre Gegenwehr. Dorian warf ihr einen kurzen Blick zu. Sie mußte entsetzliche Schmerzen haben. Für Sekunden empfand er Mitleid mit ihr, doch sofort schüttelte er dieses Gefühl wieder ab; sie hatte kein Mitleid verdient. Als er die Tür öffnete, war Coco fast bewußtlos. Sie konnte kaum gerade gehen. Ihr Gesicht war von Schweiß bedeckt, und die Augen traten hervor. Er stieß sie vor sich her und schloß die Tür. Sie blieb mit geschlossenen Augen stehen. Er faßte sie am linken Ellenbogen und führte sie zu einer Bank. Erschöpft ließ sie sich darauf niederfallen. Eine junge Krankenschwester kam auf Dorian zu und lächelte ihn freundlich an.
»Mein Name ist Hunter«, sagte er. »Meine Frau befindet sich bei Ihnen, und ich werde von Dr. Burger erwartet.«
»Der Pförtner hat mich verständigt«, sagte die Schwester. »Dr.
Burger wird Sie empfangen.«
In der Luft hing der charakteristische Krankenhausgeruch. Die Krankenschwester beugte sich besorgt über Coco, die halb ohnmächtig geworden war. Ihre Lider flatterten, und sie atmete unruhig. Schweißtropfen rannen über ihre Stirn.
»Beachten Sie sie nicht!« sagte Dorian zur Schwester. »Ihr ist nicht gut. Die Hitze hier und der Geruch. Es wird in ein paar Minuten vorbei sein.«
Die Krankenschwester sah ihn zweifelnd an.
»Steh auf!« sagte Dorian zu Coco. Sie schlug die Augen auf, und Dorian zuckte unwillkürlich zusammen. So einen Blick hatte er noch nie gesehen. Aller Schmerz der Welt spiegelte sich in ihren Augen.
Er holte ein Taschentuch heraus und wischte ihr den Schweiß von der Stirn.
»Geht es?« fragte er besorgt.
Coco nickte tapfer und stand auf. Dorian hatte erlebt, wie die Dämonen in Asmoda auf die Gegenwart Vukujevs reagiert hatten, und er konnte deshalb in etwa ermessen, wie ihr in diesen Minuten zumute war.
Coco konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Das Erlebnis auf dem Friedhof war nur der Auftakt gewesen. Die brennenden Kreuze waren für eine Hexe kaum auszuhalten.
Coco hatte sich gewundert, daß dieses Erlebnis so glimpflich ausgegangen war. Und jetzt stürmten von allen Seiten die gestörten Gedanken auf sie ein. Gedanken, die sie körperlich spürte, die wie spitze Nadeln in ihren Körper eindrangen und ihr Gehirn lähmten. Mit letzter Kraft schlich sie hinter Dorian her. Je weiter sie den Korridor hinuntergingen, desto unerträglicher wurden die Schmerzen. Sie konnte sich nicht erinnern, je etwas Ähnliches durchgemacht zu haben. Jeder Muskel, jede Sehne, jeder Nerv schien mit eigenem Leben erfüllt zu sein, entlud sich in Explosionen. Sie krallte sich an Dorians Arm fest und kämpfte gegen die Bewußtlosigkeit an. Schließlich konnte sie jedoch nicht mehr. Die Ohnmacht erschien ihr inzwischen als etwas Verlockendes, etwas, das ihr Erlösung verhieß. Die Schmerzen wurden schwächer, dann versank die junge Hexe endlich in tiefer Schwärze.
Dorian fing Coco auf und hob sie hoch. Vor ihm öffnete die Krankenschwester die Tür zu Dr. Burgers Zimmer. Er trat rasch ein. Dr.
Burger, der hinter einem breiten Schreibtisch gesessen hatte, sprang auf. Er war ein mittelgroßer Mann Mitte vierzig und besaß eine Halbglatze. Auf seiner Nase saß eine Brille mit randlosen Gläsern.
Dorian legte Coco auf eine Couch, und der Arzt öffnete ihren Mantel und fühlte den Puls an ihrem Hals.
»Der Herzschlag ist sehr unregelmäßig«, stellte er fest. »Öffnen Sie das Fenster, Schwester Renate!« Er wandte sich an Dorian. »Sie sind Herr Hunter?«
Dorian nickte.
»Wann wurde das Mädchen ohnmächtig?«
»Gerade eben vor der Tür.«
Dr. Burger fühlte weiter ihren Puls. Die Krankenschwester hatte das Fenster geöffnet. Kühle Nachtluft strömte herein und verdrängte den Krankenhausgeruch.
»Hat sie öfter Ohnmachtsanfälle, Herr Hunter?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, entgegnete Dorian kurz angebunden. »So gut kenne ich sie nicht.«
»Hatte sie irgendwelche Beschwerden? Oder hat sie einen Schock erlitten? Denken Sie nach, Herr Hunter! Es könnte wichtig
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