002 - Das Henkersschwert
schneller. Aufmerksam sah er sich um. Nach einigen Minuten blieb er stehen und nahm sich nochmals den Stadtplan vor. Dann überquerte er die Lainzer Straße und bog in die Jagdschloßgasse ein. Er sah eine Kirche und ein umzäuntes Feld. Nach etwa hundert Metern mußte er anhalten. Bahnschranken versperrten ihm den Weg. Ein Güterzug donnerte vorbei, und die Schranke wurde wieder geöffnet. Helnweins Haus lag am Ende der Straße. Es war ein kleines neues einstöckiges Häuschen mit einem kleinen Vorgarten. Einige Stufen führten zum Eingang hinauf.
Dorian stellte den Mantelkragen auf und drückte auf den Klingelknopf. Automatisch blickte er sich um. Eine alte Frau ging an ihm vorbei. Sie hatte einen Regenschirm aufgespannt. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen. Neben ihr lief ein fetter Dackel.
Die Tür wurde geöffnet, und ein alter Mann sah ihn freundlich an.
»Herr Hunter, nehme ich an«, sagte Norbert Helnwein. »Bitte treten Sie doch ein. Ich freue mich sehr, daß Sie trotz des scheußlichen Wetters zu mir gekommen sind.«
Die Diele war klein und mit einer billigen Kleiderablage ausgestattet. Helnwein half Dorian aus dem Mantel und hängte das Kleidungsstück auf einen Haken. Dann erst hatte Dorian Gelegenheit, den Mann näher zu betrachten. Helnwein war gut einen Kopf kleiner als er selbst; ein schmalschultriger, schlanker Mann mit O-Beinen, wie sie normalerweise nur Jockeys haben. Er mußte an die siebzig sein. Sein Haar war voll und dicht und wirkte fast unnatürlich weiß. Die schwarzen Brauen bildeten einen starken Kontrast zum Haar. Die Nase war leicht gekrümmt, das Gesicht mit Falten übersät, vor allem um den Mund herum. Helnwein lächelte Dorian freundlich zu. »Kommen Sie bitte mit, Herr Hunter.« Als sie die Stube erreicht hatten, deutete er auf eine Couch. »Nehmen Sie doch Platz.«
Das Wohnzimmer war bis auf die bequeme Sitzgarnitur, ein kleines Tischchen und einige Schränke leer. Die Farbe der Wände war kaum zu erkennen. Überall hingen Bilder und fremdartige Gegenstände. An der Breitseite des Zimmers hingen Masken.
»Sie gestatten, daß ich mich kurz umblicke?« fragte Dorian.
Helnwein lächelte glücklich. Er wußte genau, welche Wirkung sein Zimmer auf einen Sammler makabrer und okkulter Gegenstände hatte. Für Dorian versank die Umwelt; nur die seltsamen Masken, Bilder und Artefakte existierten noch. Er ließ seinen Blick über die Masken wandern. Darunter befanden sich einige Raritäten, die er gern in seinem Besitz gehabt hätte. Schweigend ging er an den Wänden entlang. Eine Wand war mit uralten Stichen und Bildern bedeckt, dazwischen befanden sich Amulette und Zaubergegenstände. Dorian konnte sich kaum an den Schätzen satt sehen.
»Das ist nur ein kleiner Teil, Herr Hunter«, sagte Helnwein stolz.
»Die kostbarsten Stücke schließe ich in meinem Tresor ein.«
»Darf ich sie sehen?«
»Das ist leider nicht möglich. Der Safe besitzt eine Zeitsperre. Ich kann ihn erst nach neun Uhr morgens öffnen. Ich bedaure das außerordentlich, da Sie sicherlich von einigen Stücken entzückt gewesen wären. Aber vielleicht kommen Sie morgen nochmals vorbei?«
»Das wird leider nicht gehen. Ich fliege schon mittags nach London zurück.«
»Schade, sehr schade, Herr Hunter. Nehmen Sie doch bitte Platz!«
Jetzt endlich setzte Dorian sich. Er konnte noch immer nicht seinen Blick von den Kostbarkeiten reißen.
»Sie trinken doch einen Schluck mit mir, Herr Hunter?«
Dorian nickte geistesabwesend.
Helnwein öffnete eine Flasche Wein und schenkte zwei Gläser voll. »Sie sind wegen des Schwertes gekommen?«
»Nicht nur deswegen«, erklärte Dorian. »Ich wollte Sie einmal persönlich kennenlernen. Und dann möchte ich einige Auskünfte von Ihnen.«
»Auskünfte? Worüber?«
»Der Wein ist hervorragend«, wich Dorian der Frage aus.
»Ja«, sagte Helnwein ungeduldig. »Was wollen Sie von mir wissen?«
Dorian steckte sich eine Zigarette an und sah Helnwein durch den Rauch an. »Glauben Sie an die Existenz von Dämonen?«
Helnwein nickte bedächtig. »Ja, ich glaube an sie. Und nicht nur das. Ich weiß sicher, daß solche Geschöpfe existieren.«
»Wie gut sind Sie mit der Familie Zamis bekannt?«
»Das sind wohl die Auskünfte, die Sie wünschen, nicht wahr?«
»Ja, können Sie mir helfen?«
»Ich weiß nicht recht«, sagte Helnwein und begann umständlich, eine Pfeife zu stopfen. »Natürlich weiß ich einiges, aber ich bin mir nicht im klaren, ob ich Ihnen etwas sagen darf.
Weitere Kostenlose Bücher