002 - Der Hexenmeister
wenn man an Wiedergeburt glaubt, erklärt das noch nicht, wie es möglich ist, dass man plötzlich in die Vergangenheit zurückkehrt.
Und was mit der Figur da los ist, dafür haben wir auch noch keine ausreichende Erklärung.«
Wir schwiegen lange. Patrick betrachtete nachdenklich die Figur aus der Seine.
»Vielleicht kann sie uns etwas verraten«, sagte Patrick, und ohne unsere Meinung einzuholen, sagte er einige der Wortformeln, die der Meister uns gelehrt hatte.
Nichts geschah.
Wir unterhielten uns an diesem Abend noch lange über das Erlebte. Es war schon Tag, als wir uns endlich trennten. Ich fürchtete mich jetzt nicht mehr, mit der Figur allein zu bleiben. Als meine Freunde gegangen waren, legte ich mich ins Bett. Ich schlief fest und traumlos.
Am Nachmittag trafen wir uns, um mit unserem Motorboot eine kleine Spazierfahrt zu unternehmen. Aber es machte uns längst nicht mehr soviel Spaß wie früher. Unsere Gedanken weilten in der Vergangenheit, und alle unsere Gespräche drehten sich um diese Welt, die Welt des 15. Jahrhunderts.
Von jenem Tag an wurde unser Leben noch seltsamer, noch unglaublicher. Drei Monate lang führten wir ein Doppelleben, das wir teils im Paris von heute, teils im Paris von 1408 verbrachten. Dabei verweilten wir immer länger in der Vergangenheit.
An jenem Sonntagnachmittag interessierten wir uns kaum für unser Motorboot. Dabei war herrliches Wetter, geradezu ideal für eine Ausfahrt.
Am nächsten Tag begann unser Urlaub, den wir gemeinsam am Meer verbringen wollten. Aber keiner von uns hatte Lust, Paris zu verlassen.
Am Abend wurden wir wieder in die Vergangenheit versetzt. Zum ersten Mal waren wir dort alle vier zusammen. Wir befanden uns in meiner Wohnung, die in der Nähe des Hotel Royal lag. Sie war geräumiger als mein kleines Appartement im modernen Paris und mit wuchtigen, düsteren Möbeln ausgestattet.
Wir hatten im Paris des 20. Jahrhunderts mit niemandem über unsere Erlebnisse gesprochen und taten es auch im Paris der Vergangenheit nicht. Unsere Doppelgänger von damals glichen uns im Übrigen äußerlich und auch in ihrer Denkweise und Persönlichkeit aufs Haar, so dass es uns nicht schwer fiel, jeweils vom einen in das andere Leben hineinzugleiten.
Jeden Abend und immer öfter auch tagsüber verschwanden wir aus meinem tagsüber verschwanden wir aus meinem lebten im Paris von 1408. Wir fühlten uns dort immer mehr zu Hause. Manchmal blieben wir mehrere Tage hintereinander dort.
Bald verband mich mit Michel Dosseda eine herzliche Freundschaft. Ich verehrte ihn sehr. Der Meister war wirklich eine ganz ungewöhnliche Persönlichkeit, und sein Wissen ging weit über alles gewohnte Maß hinaus. Wie sein Sohn war auch er ein überaus gütiger Mensch und besaß viel Sinn für Humor. Ich suchte ihn fast jeden Tag auf und sah dabei immer Laura.
Oft durfte ich auch die Mahlzeiten mit ihnen teilen. Laura war nicht nur schön, sondern auch sehr intelligent und obendrein beherzt. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich, dass auch sie in die Geheimnisse unserer Bruderschaft eingeweiht war und ebenfalls die Proben bestanden hatte. Das bewies, dass sie ein Mädchen mit ungewöhnlich starkem Willen, mit viel Mut und Tatkraft war.
Zu mir war sie überaus freundlich. Ich hatte ein wenig Scheu vor ihr, weil ich sie gar so sehr liebte und verehrte. Ich wagte auch nicht, ihr meine leidenschaftlichen Gefühle zu gestehen. Immer mehr wuchs der Wunsch in mir, die Vergangenheit nie mehr verlassen zu müssen. Ich wollte nicht in eine Gegenwart ohne Laura zurückkehren und versuchte zu vergessen, dass ich eigentlich im 20. Jahrhundert lebte, aber das gelang mir nicht.
Fast jeden Tag kehrten meine Freunde und ich nun in die Vergangenheit zurück. Meistens verbrachten wir die Zeit im Paris von 1408 zusammen. Unser Ausgangspunkt für diesen Übergang von der Gegenwart in die Vergangenheit war immer mein Appartement.
Lionnel, Hervé und Patrick gefiel das Leben in der Vergangenheit auch immer besser. Sie liebten ihre Frauen und Kinder und wollten sich nur ungern von ihnen trennen.
Ich hatte inzwischen die weiteren Proben bestanden und war in die Bruderschaft aufgenommen worden. Jetzt wurde ich mit den erstaunlichsten Experimenten betraut, aber ich empfand keine Furcht mehr dabei.
Eines Tages fragte ich den Meister:»Habt Ihr selbst die Figuren aus dem geheimnisvollen Metall angefertigt?«
»Nein. Der Mann, der das macht, ist nicht einmal einer der Unseren. Ich liefere ihm das
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