Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
002 - Der Hexenmeister

002 - Der Hexenmeister

Titel: 002 - Der Hexenmeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B.R. Bruss
Vom Netzwerk:
Experiment beenden würden, fielen mir nicht ein.
    Ich riss mich zusammen, und es gelang mir, etwas ruhiger zu werden. Jetzt erinnerte ich mich auch an die Formeln. Ich sprach die nächste aus, obwohl ich fürchtete, dass der Zustand meines Kopfes sich dadurch noch verschlimmern könnte.
    Tatsächlich wurde es jetzt noch unangenehmer für meinen gepeinigten Schädel. Ich musste die Augen schließen, denn ich hatte das Gefühl, dass die feurigen Punkte mich in ihrem wilden Tanz mitrissen und in die wallenden Nebel hinein schleuderten. Seltsame Schreie waren zu hören.
    Der Meister hatte mich darauf vorbereitet. Er hatte gesagt, dass ich jetzt unbedingt die Augen öffnen und den Blick auf die Figur richten müsste. Mein Kopf schmerzte, als würde er im nächsten Augenblick zerspringen. Auch hatte ich den Eindruck, dass die von mir freigesetzten Kräfte mir feindlich waren und mich vernichten wollten.
    Dennoch gelang es mir, die Augen zu öffnen. Ich kam mir vor wie ein unerfahrener Taucher, der zu lange unter Wasser geblieben ist. Doch das, was ich jetzt durchmachte, war wesentlich schlimmer als die Atemnot eines fast Ertrinkenden.
    Ich bemerkte, dass sich das bärtige Männchen fast zur Hälfte gelblich verfärbt hatte. Seltsamerweise beruhigte mich das etwas. Alles ging genauso vor sich, wie es mir der Meister prophezeit hatte.
    Ich spürte deutlich die Anwesenheit von unsichtbaren Kräften im Raum. Waren es Strahlen oder unsichtbare Wesen? Der Meister hatte gesagt, dass er eher an natürliche Kräfte glaubte, an Strahlen, die dem Metall innewohnten und die man meistern und lenken konnte.
    Und das musste ich jetzt versuchen: sie zu meistern und sie meinem Willen unterzuordnen. Dieses Experiment war gewiss noch schrecklicher als das, was ich bisher erlebt hatte.
    Ich sprach die Formel aus, durch die mir die geheimnisvollen Kräfte nun gehorchen sollten. Im nächsten Augenblick glaubte ich, dass mein Körper auseinander reißen, einfach zerspringen würde. Ich fühlte mich von unsichtbaren Kräften nach allen Seiten auseinandergezerrt und glaubte, bei lebendigem Leibe zerrissen zu werden.
    Wie lange dieser Zustand andauerte, weiß ich nicht. Ich hatte das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Ich war kurz davor, in ein Gebrüll auszubrechen wie ein Wahnsinniger, die Formel herauszuschreien, die dieser Qual ein Ende bereitete. Doch ich wusste, dass ich dann versagt hätte. Das Experiment wäre misslungen, und man würde mich nicht in die Bruderschaft des Meisters aufnehmen. Ich wollte nicht aufgeben, wollte nicht versagen. Mein Wille sollte stärker sein als alle Qual.
    Noch einmal sprach ich die Formel aus, die mir die unsichtbaren Kräfte untertan machen sollte. Ich wiederholte sie und sprach sie auch noch zum vierten Mal aus – zornig und vom eisernen Willen beherrscht, zu siegen.
    Der Sturm in meinem Geist und in meinem Körper legte sich. Ich spürte wie der Druck, der mich zu zerreißen gedroht hatte, allmählich nachließ. Nun gab ich meine Befehle. Ich befahl den geheimnisvollen Kräften, die Gegenstände, die Michel Dosseda auf den Erdboden gelegt hatte, in die Höhe zu heben.
    Langsam, sehr langsam stiegen die Stäbchen und die kleinen Vier- und Dreiecke in die Höhe. Ich befahl, dass sie im Kreis umeinander herumschweben sollten, und sie taten es. Zwischendurch stürzte alles wieder zu Boden, und ich stand erneut unter dem inneren Druck. Dann spannte ich meine ganze Willenskraft an, und es gelang mir aufs neue, die unsichtbaren Kräfte zu dirigieren.
    Ich weiß nicht, wieviel Zeit inzwischen verstrichen war. Als der Gong ertönte, war ich völlig erschöpft. Ich sprach die Formel aus, die alle Kräfte zum Ruhen brachte, und es wurde still.
    Der Meister trat ein, in der Hand einen großen Leuchter, in dem mehrere Kerzen brannten. Er lächelte zufrieden.
    »Ich gratuliere Euch!« sagte er. »Alles ist großartig gelungen. Seht Euch die Figur an. Jetzt ist sie durch und durch aus Gold. Wenn die Kräfte des Metalls freigesetzt worden sind, zeigt sich das immer daran, dass sich das Metall umwandelt. Ihr seid erschöpft, nicht wahr?«
    »Allerdings«, erwiderte ich.
    »Vor allem die ersten Male ist es sehr anstrengend. Diese äußerste Anspannung der Willenskraft nimmt einen körperlich ungeheuer mit. Nach und nach gewöhnt man sich daran. Auch die Angst verschwindet völlig. Vergesst nicht, dass dies ja erst Euer erster Schritt auf diesem Gebiet war. Es ist genauso, wie beim Lesenlernen«, fuhr der Meister fort.

Weitere Kostenlose Bücher