002 - Der Hexenmeister
in den Armen hielt.
Am folgenden Abend sollten wir mit Jean de la Brune nach Italien aufbrechen. Schon nach wenigen Stunden sah ich, dass wir nicht reisen konnten. Voller Entsetzen entdeckte ich auf Lauras schönem Gesicht dieselben Flecken und Verfärbungen, die ich auch bei Hervé gesehen hatte. Laura hatte die Pest.
Sie wusste bald, dass sie sterben musste. Von allen entsetzlichen Stunden, die ich in der Vergangenheit verlebte, waren diese die schlimmsten. Ihre Qual dauerte drei Tage. Es ist mir unmöglich, darüber zu sprechen. Ehe sie hinüberging, reichte sie mir das Medaillon mit ihrem Bild.
»Heb es gut auf«, flüsterte sie, »als Erinnerung an unser Glück.«
So kam es, dass ich Laura zweimal als Tote sah. Als ich ihr die Augen zugedrückt hatte, war ich halb wahnsinnig vor Schmerz. Wenn Jean de la Brune nicht gewesen wäre, hätte ich mir gewiss das Leben genommen. Zum Glück war mein Sohn aus erster Ehe bei meiner Tante, fern von Paris.
Jean half mir, Laura in dem Garten, der das Haus am Fluss umgab, zu begraben. Das geschah am 26. Juni, Da ich drei Tage und drei Nächte nicht geschlafen hatte, ließ ich mich danach auf einen Divan fallen und schlief. Wie gern wäre ich aus diesem Schlaf nie mehr erwacht.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich angekleidet auf meiner Couch in meinem Appartement. Ich war ins 20. Jahrhundert zurückgekehrt. Auf dem Tisch stand die unselige Figur.
Tiefe Verzweiflung erfüllte mich. Nun hatte ich Laura auf ewig verloren.
Später fiel mir Patrick ein. Vielleicht war er inzwischen auch zurückgekehrt.
Ich ging hinunter, verließ das Haus und betrat ein Café, um zu telefonieren. Er meldete sich nicht. Ich machte mich im Wagen auf den Weg zu seiner Wohnung. Es kam mir merkwürdig vor, im Auto durch die Stadt zu fahren. Meine Gedanken waren noch mehr in der Vergangenheit als im Heute.
Als Patrick auf mein Klingeln nicht öffnete, ging ich zur Hausmeisterin und fragte sie, ob sie zufällig wisse, wann er zurückkommen werde. Sie sah mich bestürzt an.
»Sind Sie ein Freund von ihm?« fragte sie.
»Ja.«
»Und Sie wissen es noch nicht?«
»Was denn?«
»Es ist ein Unglück geschehen. Schon vor drei Tagen. Man hat ihn bei Notre-Dame tot aufgefunden, mit einem Dolch in der Brust.«
Völlig verstört verließ ich das Haus. Ich fuhr zu mir, ging aber nicht in meine Wohnung, sondern ließ nur den Wagen vor dem Haus stehen und wanderte durch die Straßen und am Ufer der Seine entlang. Schließlich lehnte ich mich an das steinerne Geländer und blickte auf den Fluss hinab.
Ich weiß nicht, wie lange ich so gestanden hatte, als sich mir plötzlich eine Hand auf die Schulter legte. Ich wandte mich um. Ein uralter Mann stand neben mir. Sein Gesicht war von Runzeln durchfurcht, doch aus seinen Augen leuchtete die Frische eines jungen, vitalen Geistes.
»Sie sind doch Georges Lenand, nicht wahr?« sagte er.
»Ja. Aber ich kenne Sie nicht. Ich kann mich nicht erinnern …«
»Doch«, erwiderte er. »Sie kennen mich. Gesehen haben Sie mich schon oft, aber nur einmal mit mir gesprochen. Das ist schon lange her. Sehr lange. Damals waren Sie Professor an der Universität.«
Ich fuhr zusammen. »Sie sind … Sie sind Nicolas Flamel?«
»Ja, der bin ich. Kommen Sie, mein Freund, gehen wir dort hinüber in den Park. Da können wir uns auf eine Bank setzen und uns in aller Ruhe unterhalten.«
»Ich bin heute früh aus Indien gekommen«, sagte er. »Jetzt war ich gerade in Angouleme. Dort habe ich die traurige Nachricht erfahren. Ich habe vier Monate lang vor Antritt meiner Reise im Tief schlaf gelegen, deshalb wusste ich nicht, was inzwischen geschehen ist. Glücklicherweise habe ich nicht lange gebraucht, um Sie zu finden – ein kleines Geheimnis von mir, wie ich das bewerkstelligt habe. Es ist ein Jammer, dass mein Versuch, die Vergangenheit zu ändern, fehlgeschlagen ist.«
»Was wissen Sie von dem, was inzwischen passiert ist?« fragte ich.
»Viel. Ich gehe schon eine Weile hinter Ihnen her und lese Ihre Gedanken. Doch alles weiß ich noch nicht. Erzählen Sie mir einmal ganz genau und ausführlich, was Sie erlebt haben.«
Ich tat es. In allen Einzelheiten berichtete ich ihm, was in den letzten drei Monaten geschehen war. Als ich geendet hatte, schwieg er lange.
»Ich habe mich geirrt«, sagte er dann. »Man kann die Vergangenheit nicht ändern. Es war vermessen von mir, das zu versuchen.« Nicolas Flamel sah mich an. »Wollen Sie in die Vergangenheit zurückkehren,
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