002 - Die Angst erwacht im Todesschloss
Gang entlang, von dem sie nicht
wusste, wohin er führte. Sie stolperte und stürzte über einen scharfkantigen
Stein. Ihre Knie platzten auf, die Verletzungen begannen sofort zu bluten.
Zitternd kam sie wieder auf die Beine, stieg über die Steinbrocken, rannte
und taumelte weiter, erfüllt von Angst und Grauen. Dann sah sie vor sich die
steil aufwärts führende Wendeltreppe. Es gab keinen anderen Weg für sie. Sie
hetzte über die Stufen nach oben. Erd- und Sandbrocken lösten sich unter ihren
Füßen, und sie fürchtete, dass jeden Augenblick alles unter ihr zusammenbrach.
Die Treppe war schmal und eng gewunden. Ellen wurde es schwindelig. Sie wollte
stehenbleiben, doch sie wagte es nicht. Unruhe, Angst, Verzweiflung und
Entsetzen trieben sie unablässig vorwärts. Sie war am Ende ihrer Kraft und
konnte doch nicht aufgeben. Sie hoffte, dass die Treppe zum bewohnten Teil des
unheimlichen Schlosses führte.
Einmal warf sie einen Blick nach unten in die schwindelerregende Tiefe. Die
Treppe schien sich vor ihren Augen zu drehen, alles ging immer schneller, wie
ein Karussell ...
Hätte Ellen wirklich gesehen, wie tief die Dunkelheit unter ihr reichte,
sie wäre schaudernd zusammengefahren.
Die Treppe vor ihr war zu Ende.
Ellen erreichte einen schmalen Absatz, kreisrund, der sich um einen
turmähnlichen Anbau bewegte. Zwei, drei dicke massive Holztüren führten in die
Turmzimmer. Dies war das Ende ihres Weges. War es auch das Ende ihres – Lebens?
Es blieb der jungen Frau keine andere Wahl, als eine der Türen zu öffnen.
Knarrend bewegte sie sich in den verrosteten Angeln.
Ellen starrte in die kleine Rumpelkammer, in der alte Kleider hingen und
kaputtes Spielzeug lag, zusammen mit den Resten eines Rasenmähers. Rechts
erkannte sie unter den herabhängenden Kleidungsstücken eine wuchtige Truhe.
Die junge Frau hielt den Atem an, lauschte und hörte, wie sich die Schritte
aus der Tiefe der Wendeltreppe näherten.
Ein Zurück gab es für die Fliehende nicht mehr.
Fest drückte sie die schwere Holztür ins Schloss, dann huschte sie zu der
Truhe, deren Umrisse sich in der Dunkelheit konturenhaft abzeichneten. Ellen
bückte sich, schlüpfte unter die alten Kleider und verbarg sich hinter der
Truhe. Es war genügend Platz vorhanden. Zitternd schloss sie die Lider und
versuchte innerlich zur Ruhe zu kommen. Dann öffnete sie die Augen wieder.
Durch einen schmalen Spalt zwischen den tief herabhängenen Kleidern und dem wie
ein Hügel vor ihr aufragenden Truhendeckel konnte sie einen Teil der Tür
erblicken.
Sie fragte sich, ob sich die Tür öffnen würde? Sie hoffte, dass es nicht
geschah ...
Wenig später waren die Geräusche genau auf dem Treppenabsatz. Der Verfolger
nahte ...
Ellen schluckte. Am liebsten hätte sie geschrien. Aber sie unterließ es.
Sie konnte sich damit nur noch mehr Schaden zufügen.
Sie konnte nicht erwarten, dass jemand kam, der ihr half.
Jetzt war er vor der Tür!
Ellens Herz krampfte sich zusammen. Sie hörte das hässliche Krachen in dem
verrosteten Schloss, als der Schlüssel umgedreht wurde. Da riss sie ihre Rechte
empor und presste die Faust fest gegen ihre Lippen, damit der Schrei ihre Kehle
nicht verließ.
Sie wusste, dass in diesem Augenblick ihr Schicksal besiegelt worden war.
Sie war eingeschlossen in einem abgelegenen, einsamen Tower.
Vor ihren Augen begann alles zu kreisen. Angst und Grauen erfassten sie,
ihr Körper fühlte sich kalt an, als würde durch ihre Adern kein Blut, sondern
Eiswasser fließen.
Wie durch Watte vernahm sie die sich entfernenden Schritte.
Dann war Totenstille ...
Ellen war allein und lauschte. Es wurde ihr immer unheimlicher ...
Und dann kam das Grauen, als Stille und Dunkelheit um sie herum plötzlich
zu leben anfingen ...
●
Das Telefon rasselte. Der irische Diener John meldete sich mit ruhiger
Stimme. Dann gab er seinem Herrn, der wie abwesend am Fenster des Speisezimmers
stand, mit einer Geste zu verstehen, dass das Gespräch für ihn sei.
Der Duke wandte sich um. Sein Gesicht schien bleicher als gewöhnlich, die
Augen lagen tief in den Höhlen. Er warf keinen Blick auf seine beiden Töchter,
die besorgt an zwei kleinen Tischen saßen.
Margarete blätterte in einem Buch, Patricia beugte sich über die Skizze
einer von ihr gezeichneten Landschaft. Aber Margarete las nicht, und Patricia
zeichnete nicht. Eine seltsame Spannung lag beinahe körperlich spürbar in der
Luft. Bedrückung und Angst vor dem, was jeder fürchtete,
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