0020 - Die Rache der Medusa
Stimme zu erzählen.
»Da war ein Mädchen«, sagte er so dumpf, als wollte er sich mit Nicole gegen irgend jemanden verschwören. »Ein ungemein hübsches Mädchen. Sie ging an uns vorbei. Sie hat Ahmet so sonderbar angesehen. Er war ganz durcheinander und lief ihr sofort nach. Ich wünschte ihm gutes Gelingen. Ahmet war ein hübscher Junge. Ich dachte, das Mädchen würde sich für ihn interessieren, und er dachte das auch. Heute glaube ich aber, daß sie sich aus einem anderen Grund für ihn interessierte, als wir annahmen. Sie muß ihn in eine höllische Falle gelockt haben. Ich hörte ihn schreien. Es war grauenvoll. Ich dachte, den Verstand zu verlieren, so gräßlich hat Ahmet geschrien. Ich war wie gelähmt. Ich wollte ihm zu Hilfe eilen, kam aber nicht vom Fleck. Es war so, als hätte ich im Boden Wurzeln geschlagen, die ich nicht herausreißen konnte. Als es mir endlich gelang, die Lähmung abzuschütteln, eilte ich meinem Freund sofort zu Hilfe. Sein Schrei war bereits verstummt. Das machte mir große Angst. Ich lief so schnell ich konnte. Als ich den Eingang in diese Straße erreichte, fauchte mir ein Sandsturm entgegen, der mich beinahe umgerissen hätte. Von Ahmet fand ich nichts mehr. Ich suchte ihn verzweifelt, rief immer wieder seinen Namen, aber er blieb verschwunden.«
Mustafa Bursa wischte sich den Schweiß von der Stirn. Seine Zunge huschte aufgeregt über die Lippen. Er zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. Den Rauch sog er so tief ein, als wollte er ihn bis in den Bauch hinunterpumpen.
»Sie erwähnten einen Sandsturm, Mustafa«, sagte Nicole.
»Ja, Mademoiselle. Es war ein richtiger Sandsturm.«
»Obwohl es in ganz Istanbul windstill war?«
»Es war ein Sandsturm. Was soll ich machen?«
»Können Sie dieses Mädchen beschreiben?«
»Welches Mädchen?«
»Das, hinter dem Ihr Freund her war.«
»Das ist das eigenartigste an der ganzen Geschichte, Mademoiselle. Ich kann sie nicht beschreiben. Ihr Bild fehlt in meiner Erinnerung. Es scheint so, als hätte sie es mitgenommen.«
»Das gibt es doch nicht, Mustafa.«
»Wenn es möglich ist, daß mein Freund spurlos verschwindet, Mademoiselle, dann ist auch so etwas möglich!« sagte Bursa trotzig.
Damit hatte er natürlich recht. Nicole wußte das.
***
Den ganzen Tag über gab es für Nicole Duval nur noch dieses Problem. Mireille Dorleac versuchte die Freundin mit allem möglichen abzulenken, doch Nicole konnte nicht mehr vergessen, was sie gehört hatte.
In dieser Stadt wurde seit geraumer Zeit ein unheimliches Spiel gespielt. Inszeniert von irgendwelchen Dämonen, die sich eines überaus hübschen Mädchens bedienten, um junge Männer in eine tödliche Falle zu locken, aus der es kein Entrinnen mehr gab.
Diese Falle war so perfekt, daß nach dem Tod der Männer nicht einmal deren Leichnam zurückblieb, an dem man hätte feststellen können, auf welche Art sie ums Leben gekommen waren.
Das wäre ein Fall für Professor Zamorra! dachte Nicole, und sie war von dieser Stunde an fasziniert von diesem Gedanken.
Ja, sie wollte den Chef informieren.
Heute noch.
Er hielt sich in Sofia auf. Sie wußte den Namen des Hotels.
Wenn sie ihm diesen Braten schmackhaft genug servieren würde, würde er sich vermutlich wie ein hungriger Löwe darauf stürzen.
In einem Fall wie diesem konnte die Polizei nichts tun. Bestimmt hatten sich ihre Ermittlungen jetzt schon rettungslos festgefahren.
Hier waren üble Kräfte am Werk.
Denen konnte man nicht mit polizeilicher Logik kommen.
Solchen bösen Kräften mußte man mit übernatürlichen Taten zu Leibe rücken.
Professor Zamorra war zu solchen Taten fähig, seit er im Besitz jenes silbernen Amuletts war, das er von seinem Vorfahr Leonardo de Montagne geerbt hatte.
Dieses silberne Amulett machte ihn zum Herrscher über Geister und Dämonen. Mit ihm vermochte er sie nach Belieben zu vernichten.
Ohne diesen Talisman war er jedoch genauso verletzbar wie jeder andere Sterbliche auch.
***
Zamorra war von der bulgarischen Regierung eingeladen worden.
Er und sein Kollege Paco Fuente sollten hier in Sofia über ihr Spezialgebiet, die Parapsychologie, vor östlichen Wissenschaftlern referieren. Die Sache war ganz groß aufgezogen worden. Man feierte die beiden westlichen Professoren wie Heroen. Man gab ihnen zu Ehren sogar ein Staatsbankett, um damit zum Ausdruck zu bringen, welch großartiger Wertschätzungen sie sich erfreuen durften.
Zamorras und Fuentes Referate fanden ein
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