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0022 - Der Todesfluß

0022 - Der Todesfluß

Titel: 0022 - Der Todesfluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Friedrichs
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dunkle, aromatische Gebräu in die Tassen. Er setzte sich ächzend. »Wissen Sie, die jüngeren von uns wollten von den alten Geschichten nicht viel wissen. Sie waren froh, daß sich jemand bereit erklärte, Fährmann zu werden. Ich selbst habe mich der Stimme enthalten. Ich habe versucht, Robert von seinem Entschluß abzubringen. Aber es half nichts. Ich fürchte, der Starrsinn liegt bei uns in der Familie. Oder das, was ich jetzt als Starrsinn betrachte, war bereits der Einfluß der Finsternismächte.«
    Bill Fleming rührte in seinem Tee. Er hielt sich zurück, obwohl er eine Menge harter Fragen hätte stellen können. Doch er wollte seinem Freund jetzt nicht vorgreifen.
    »Sie sprachen von alten Geschichten, Monsieur Levin«, sagte Professor Zamorra leise, »können Sie uns das näher erklären?«
    Georges Levin hob geistesabwesend die Teetasse, setzte sie aber sofort wieder ab, als er sich die Lippen verbrannte.
    »Ich weiß nur das, was die alten Leute erzählen«, antwortete er, »und ich gehöre nicht zu jenen jungen Burschen, die darüber nur lachen. Etwas Wahres muß daran sein, wenn ich auch nicht alles glauben kann.« Er hielt inne, als müsse er nach Worten suchen. Dann fuhr er mit gesenkter Stimme fort. »Die Alten sagen, daß die Fourchers mit den Mächten der Finsternis im Bunde standen. Dämonen sollen den Fluß beherrschen. Dämonen, die es nur unter bestimmten Voraussetzungen zulassen, daß ein neuer Fährmann seinen Dienst antritt.«
    »Was für Voraussetzungen?« fragte Zamorra gespannt.
    Georges Levin wurde weiß im Gesicht.
    »Es heißt, sie fordern ein Opfer… ein Blutopfer. Die Dämonen verlangen, daß das Wasser der Rhône mit dem Blut eines jungen Mädchen vermischt wird.«
    Professor Zamorra hatte Schlimmes erwartet. Doch dies übertraf seine Vorstellungskraft. Er war fassungslos. Und ein Seitenblick zeigte ihm, daß auch Bill Fleming die Worte des Bauern nicht mit einer lässigen Bemerkung überspielen konnte.
    Georges Levin sah die beiden Männer aus geweiteten Augen an.
    »Das ist noch nicht alles, Messieurs«, flüsterte er, »seit Fourchers Verschwinden fordern die alten Leute, daß wir den Dämonen das Blutopfer bringen…«
    ***
    Das romantische Tal der Loire zeigte sich an diesem Morgen von seiner schönsten Seite. Eine strahlende Herbstsonne ließ die Wälder und Höhenzüge in farbenprächtigem Glanz erscheinen. Auch die Zinnen und Türme von Château Montagne wirkten an diesem Morgen heller und freundlicher als sonst. Es war ein Bild der Ruhe und des Friedens.
    Lange blickte Nicole Duval durch das Fenster ihres Arbeitszimmers auf die Serpentinen hinab, die sich, von Wäldern umsäumt, vom Schloß bis hinunter zur Hauptstraße schlängelten. Auf der anderen Seite des Flusses duckten sich die Häuser des Dorfes an die sanftgeschwungenen Hänge.
    Nicole trug einen glockigen, knielangen Tweedrock, der den jüngsten Modeschöpfungen entsprach. Dazu eine leichte dunkelblaue Strickjacke, die ihr bis auf die schlanken Hüften reichte. Ein dezentes Make-up stand in perfektem Einklang mit ihrem seidenweichen, rostbraun schimmernden Haar. Ihre wirkliche Haarfarbe hatte Professor Zamorra bislang vergeblich zu ergründen versucht.
    Denn Nicole besaß einen unerschöpflichen Ideenreichtum, was immer neue Frisuren anbetraf.
    Im Innenhof des Schlosses standen der R 4 des Butlers und die Fahrräder des übrigen Personals. Sie alle zogen es vor, im Dorf zu wohnen, denn sie fürchteten sich vor der zeitweise düsteren Atmosphäre von Château Montagne. Auch Nicole war es anfangs nicht anders ergangen. Doch sie hatte diese Furcht inzwischen abgelegt.
    Sie wußte, daß Professor Zamorra jene Mächte der Finsternis bezwungen hatte, die über Jahrhunderte das Château beherrschten. [2]
    Seufzend riß sich Nicole von dem herrlichen Anblick des Loire-Tals los und begann, die Stapel von Aktendeckeln und losen Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zu sortieren. Im Konzept hatte sie die Ausarbeitungen für ihren Chef vorbereitet. Doch der Kongreß in Amsterdam fand bereits nächste Woche statt. Deshalb mußte Nicole auch an diesem Sonntag arbeiten, um die Berge von Manuskripten rechtzeitig zu bewältigen.
    Sie spannte den ersten Bogen in die Maschine, legte die Unterlagen zurecht und wollte mit geübter Schnelligkeit die Tasten bearbeiten.
    Es klopfte an der Tür.
    »Ja, bitte!« rief Nicole, ein wenig ärgerlich über die frühe Störung.
    Die Tür öffnete sich, und die unverwechselbar steife, würdige

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