0023 - Bei Vollmond kommt das Monster
gestehen, dass der Patient ohnehin nur noch eine Woche zu leben gehabt hätte. Vor Gericht unterstrich ich das, und die Terinca kam mit einer Geldstrafe davon. Aber der Gemeinderat beschäftigte sich jetzt mit ihrem Fall und sprach ein Berufsverbot gegen sie aus.« Er holte tief Luft. »Ungefähr zur gleichen Zeit nahm das Gerücht seinen Lauf. Man sagte ihr nach, sie sei eine Hexe. Ich kann Ihnen versichern, Professor, dass ich noch nie so haarsträubende Geschichten gehört habe wie damals, vor einem Jahr. Sie wissen ja, wie die Leute im Dorf sind. Geschichten wie aus dem Mittelalter! Also gut, eines schönen Tages fand durch puren Zufall eine Viper den Weg in ihre armselige Behausung. Rosa Terinca wurde gebissen und starb, weil sie sich nicht entschließen konnte, sich von mir behandeln zu lassen. Ich wurde kurz vor ihrem Tod von Nachbarn zu ihr gerufen. Sie war bereits halb paralysiert. Viperngift hat eine verheerende Wirkung. Irgendwie musste sie die Sache mit dem Berufsverbot und dem Hexengerücht in einen Topf mit dem Auftauchen dieser Schlange geworfen haben. Jedenfalls verfluchte sie mich und den gesamten Rat und versicherte mir, irgendwann würde sie zurückkehren und uns umbringen. Das ist alles.«
»Sie meinte, einer von Ihnen hätte die Viper in ihrem Haus ausgesetzt?«, beugte sich der Professor vor.
»Ja, das dachte sie.«
Sanchini fühlte sich veranlasst, etwas detaillierter zu erklären.
»Die Alte war der Überzeugung, der sechsköpfige Gemeinderat habe das Berufsverbot verhängt und gleichzeitig mit dem Gerücht angefangen. Schließlich versteifte sie sich auf die Idee, die Räte würden ihr nach dem Leben trachten. Die Viper war ihr der Beweis.«
»Ich danke euch«, sagte Zamorra. »Allerdings muss ich ehrlich gestehen, dass auch ich dieser Geschichte wenig Bedeutung beimesse. Ja, ich gehe sogar noch einen Schritt weiter, indem ich Dottore Silla Recht gebe. Mauro muss ein hervorragender Simulator gewesen sein. Wir werden genau recherchieren und bis in die letzte Einzelheit feststellen, wie er es fertig gebracht hat, uns so zu täuschen.«
Angelo Silla grinste überlegen; Sanchini zog eine verärgerte Miene, als sie auf den Flur hinaustraten. Er verabschiedete sich von Modena und Aquila, den Einzigen, die nach Zamorras Erklärung einen erleichterten Eindruck machten. Die Pfleger blieben in dem zweigeschossigen Haus zurück, um ihren Dienst fortzusetzen.
»Also, Zamorra, ich verstehe dich nicht mehr«, beschwerte sich Sanchini im Freien, »erst versuchst du, uns mit komplizierten Beweisführungen von dem Vorhandensein dunkler Mächte zu überzeugen, und dann so was…«
»Sie irren sich«, erwiderte Nicole, »der Chef hat das nur gesagt, um keine Panik zu stiften. Er möchte, dass das, was er Ihnen beiden jetzt auseinandersetzt, unter uns bleibt. Würden Modena und Aquila es vernehmen, würden sie es weitertragen, und Monte Ciano hätte spätestens übermorgen kein Personal mehr, ganz zu schweigen von dem Aufruhr, der sich im Dorf ausbreiten würde.«
Zamorra blieb stehen und schaute ihn fest an. »Sie sind sich der gesamten Tragweite der Situation nicht bewusst, Dottore. Nennen Sie mir bitte die Namen der Ratsmitglieder von Vigliani.«
»Bitte. Die Zusammensetzung ist die gleiche wie vor einem Jahr. Da ist Vito de Angelis, Bäcker, Bürgermeister und Vorsitzender des Gemeinderates in einer Person. Dann Patrizia Viani, die Lokalreporterin für die Tageszeitung La Nazione; Quinto Rinaldi, der Besitzer einer kleinen Lackfabrik, der Pensionswirt Sirio Giannoni, der Apotheker Gaetano Borgo und meine Wenigkeit.«
»Gut. Warnen Sie die fünf anderen.«
»Warum sollte ich?«
»Sie befinden sich in höchster Gefahr. Das beste wäre, wenn wir uns hier oben in Monte Ciano versammeln würden; ich könnte dann alles veranlassen, um den Geist anzulocken und endgültig unschädlich zu machen.«
»Drücken Sie sich konkret aus, Professor!«, verlangte der blonde Arzt in scharfem Tonfall.
»Nach allem Dafürhalten hat der Geist von Rosa Terinca wirklich ihren Sohn Mauro heimgesucht«, versetzte Zamorra mit gesenkter Stimme. »Zu viele Anhaltspunkte deuten darauf hin, dass es so ist. Um es kurz zu machen: Als ich Mauro besiegt habe, ist das Gespenst aus seinem Leib entwichen und vor dem silbernen Amulett geflohen. Jetzt treibt es sich irgendwo herum.«
»Wo soll das Gespenst denn bitteschön stecken?«, zischte Silla.
»Ganz in der Nähe. Vielleicht hinter uns«, sagte Zamorra.
»Sie sind ja nicht
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