0023 - Bei Vollmond kommt das Monster
ausbreitete und den aufkommenden Streit im Ansatz erstickte.
»Ich bitte Sie, Signori«, sagte er, »lassen Sie sich doch nicht so gehen. Tut mir Leid, so was zu meinem Vorgesetzten und dazu noch vor Signorina Duval sagen zu müssen. Aber ich habe langsam die Nase voll. Was hier los gewesen ist, hat doch wohl genügt, um uns alle aus dem Häuschen zu bringen. Wenn wir jetzt auch noch sticheln, statt uns zu beruhigen werden wir ja endgültig hysterisch.«
»Gino hat Recht«, bestätigte der Chefarzt überraschend. »Kümmern wir uns jetzt lieber um das Tonband.«
Es war ein Uhr morgens, als sie im Nachtwachenraum den Aufnahmeapparat einschalteten. Sie hörten fast atemlos zu – Aquila und Modena mit fassungslosen Mienen, Sanchini offensichtlich tief beeindruckt, Silla mit argwöhnischem Gesichtsausdruck. Nur Professor Zamorra und Nicole Duval blieben relativ ruhig; das lag daran, dass sie ohnehin mit einem Ergebnis wie diesem gerechnet hatten.
Die Vorgänge in dem Zimmer waren exakt und ohne Übersteuerungen aufgezeichnet worden. Die Stimmen klangen klar.
»Mauro«, flüsterte die weibliche Stimme, »jetzt habe ich dich endlich soweit. Du kannst dich nicht wehren, nicht einmal schreien wirst du, weil ich dich beherrsche und mir deinen Körper zunutze mache.«
Es folgten das »Nein« des Irren, danach das Kichern der zweiten, unidentifizierten Person. Schritte tönten durch den Raum, obwohl Mauro zu diesem Zeitpunkt noch an sein Bett gefesselt war. Schließlich wurden die Pausen zwischen den gesprochenen Sätzen und den Geräuschen immer länger. Zuletzt hörte man ein knackendes Geräusch – das war, als Mauro seine Lederriemen gesprengt hatte – und dann das Klirren der Fensterscheibe, die er zertrümmert hatte.
Die Pfleger kamen hereingestürmt und schrien. Modena sagte: »Ein – Monster, mein Gott, ein Monster!«
»Das stimmt«, bestätigte der kleine Pfleger, nachdem Zamorra das Gerät ausgeschaltet hatte, »ich habe wirklich diese Worte gebraucht. Übrigens vergaßen wir beide, den Apparat abzustellen. Vielleicht sollten wir weiter abhören. Man kann ja nicht wissen, ob der Geist in das Zimmer zurückgekehrt ist.«
»Mensch, und ich saß die ganze Zeit hier herum«, sagte Aquila leise. »Seht mal, was ich für eine Gänsehaut habe.« Er hielt seinen Arm hoch.
Sie ließen das Band bis zum Ende abspielen. Zu Modenas Enttäuschung war nichts mehr aufgenommen worden.
Aquila steckte sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. »Aber ich begreife nicht, warum das Biest sich ausgerechnet Mauro ausgesucht hat. Es gibt fünfhundert Wahnsinnige in Monte Ciano, Professor…«
»Leider kann ich Ihnen nicht antworten.«
Silla verzog geringschätzig den Mund. »Ich für meinen Teil sehe nicht ein, dass man nicht an das Nächstliegende denken kann. Aldo sagt, die Aufnahme sei authentisch. Schön und gut. Was aber, wenn Mauro das ganze Theater selbst abgezogen hat? Es gibt Bauchredner. Es gibt Psychopathen, die über geniale Fähigkeiten verfügen, obwohl sie im Allgemeinzustand als verrückt gelten müssen. Warum sollte Mauro nicht geschickt die Stimme verstellt haben?«
»Angelo«, sagte der Chefarzt von Monte Ciano eindringlich, »ich finde, du solltest endlich über die Sache mit Rosa Terinca berichten, sonst nehme ich dir das ab. Denk daran, dass du entsetzliche Angst hattest, weil das Monster ausgerechnet auf dich losging. Und warum hat es wohl den Wagen angegriffen? Meinetwegen oder deinetwegen?«
Silla zuckte die Achseln. »Rosa Terinca war die Mutter von Mauro. Ihn, ihren einzigen Sohn, lieferte sie schon hier ein, als er erst zehn Jahre alt war. Besser gesagt, die Aufsichtsbehörde nahm ihn ihr ab, denn sie schickte ihn zum Betteln herum, und er richtete wegen seines Schwachsinns nur Unheil an. Sein Vater war ein Vagabund; wahrscheinlich hat er die Syphilis gehabt. Daher litt Mauro unter der Geisteskrankheit, die sich mit zunehmendem Alter immer mehr ausweitete. Die Alte bezeichnete ihn als Bastard und besuchte ihn hier höchstens zwei oder dreimal innerhalb von zwanzig Jahren.«
»Weiter«, sagte Zamorra.
»Rosa Terinca bildete sich ein, eine Wunderheilerin zu sein«, fuhr Silla mit knappem Lächeln fort. »Solange sie den Leuten harmlose Kräuter verabreichte, hatte niemand etwas gegen sie. Eines Tages aber nahm sie eine längere Sitzung am Bett eines Tuberkulosekranken vor. Dabei soll sie ihm auch eine Spritze gegeben haben; jedenfalls starb der Mann unter ihren Händen. Nun, ich muss dazu
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