0023 - Bei Vollmond kommt das Monster
zwei Stunden ins Bett gegangen und habe noch wach gelegen. Vielleicht hat Dottore Silla Ihnen erzählt, dass hier eine Sitzung des Ausschusses stattgefunden hat.«
»Nein…«
»Eine Sitzung des Schulausschusses«, setzte sie auseinander. »Eigentlich auch des Rates, denn der ist in der Besetzung mit dem Ausschuss völlig identisch. Silla verließ uns um zehn Uhr, um nach Monte Ciano zu fahren. Mein Mann, Patrizia Viani, Rinaldi, Giannoni und Borgo tagten nach Versammlungsschluss noch privat weiter. Ich habe mich daran beteiligt, aber als mein Mann den Vorschlag machte, in die Jagdhütte hinaufzufahren, um zu vorgerückter Stunde einen Schluck 1971er Chianti zu probieren, habe ich mich zurückgezogen. Ich halte nichts von Festen, die bis zum Morgengrauen dauern.«
»Ich habe wohl richtig verstanden – Ihr Mann ist weder im Haus noch im Dorf«, sagte Nicole hastig.
»So ist es. Tut mir Leid.«
»Daher auch Ihre Frage an der Sprechanlage, Signora«, versetzte Zamorra ernst und nachdenklich. »Ich habe seit jenem Moment schon etwas Ähnliches befürchtet. Sagen Sie, wo finden wir die Jagdhütte?«
»Hm«, machte sie, »das ist nicht gerade einfach zu erklären. Am besten zeichne ich es Ihnen auf, Professor. Aber ist es denn so dringend? Sie tun ja so, als ginge es um Leben und Tod.«
Zamorra zwang sich zu einem Lächeln. »Fast. Tun Sie mir den Gefallen und fertigen Sie eine kleine Skizze an. Falls es in der Hütte ein Telefon gibt…«
»Es gibt Telefon«, warf sie ein.
»Dann notieren Sie bitte auch die Nummer.«
»Sie können von hier aus anrufen.«
»Herzlichen Dank, wir erledigen das von der öffentlichen Telefonzelle aus. Wir haben Sie schon genügend gestört.«
De Angelis Frau zuckte die Achseln, wandte sich ab und verließ den Flur. Sie kehrte mit einem vorgedruckten Briefbogen zurück, auf dem Vito de Angelis, Panificio zu lesen stand. Wie Silla gesagt hatte, verdiente sich de Angelis seinen Lebensunterhalt als Bäcker und versah den Posten als Bürgermeister nur nebenberuflich.
Die attraktive Frau legte den Bogen auf die Garderobe und begann, mit einem Kugelschreiber zu zeichnen. Schließlich richtete sie sich auf und sah Zamorra aus hellblauen Augen an.
»Die Hütte liegt etwa sechs Kilometer entfernt; Sie erreichen sie, wenn Sie die Landstraße nach Lucca nehmen. Hier habe ich auch die Telefonnummer aufgeschrieben.«
»Nochmals vielen Dank, Signora.« Der Professor nahm die Skizze entgegen, verbeugte sich etwas und verabschiedete sich.
***
Vito de Angelis war ein hochgewachsener Mann mit eckigem Schädel. Sein Haupthaar war lichter geworden, seitdem er die Vierzig überschritten hatte; jetzt besaß er kaum mehr als eine Halbglatze. Er hatte zu große Ohren, eine knollenförmig gestaltete Nase und einen rötlichen Teint, wodurch er ein ziemlich vierschrötiges Aussehen erlangte. Die Freunde aus dem Gemeinderat, die er hier in der Jagdhütte um sich versammelt hatte, wussten allerdings, dass in diesem derben Äußeren ein intelligenter Geist und ein humanes Herz steckten. Er hatte viel für Vigliani und seine Bürger getan. Das wussten die Leute, und deshalb wählten sie ihn auch in jeder Legislaturperiode wieder. De Angelis hatte den Posten bereits seit zwölf Jahren.
Das Feuer im Kamin zuckte; feuchte Scheite knackten unter der Hitze der Glut. Die Hütte bestand aus grobem Naturstein. Doch das Innere war ganz mit Holz ausgekleidet, was dem einzigen großen Raum eine sehr gediegene Atmosphäre verlieh. Es gab noch eine Küche und ein Bad, aber die vier Männer und die Frau hockten selbstverständlich vor dem Kamin. Sie hatten die Bänke, die man im Bedarfsfall in Betten verwandeln konnte, von den Wänden abgerückt und es sich darauf bequem gemacht.
Da es bereits auf halb fünf zu ging und der erste Frühstückshunger aufkam, hatten sie den Kühlschrank geplündert und sich große Schinkenbrote bereitet. Während sie kauten, füllte de Angelis immer wieder ihre Gläser mit dem dunkelroten Inhalt einer großen Korbflasche auf.
»Echter Chianti ohne Zusätze«, dröhnte seine Stimme. »Und dann der Jahrgang: 1971! Ein so schmackhaftes Tröpfchen findet ihr weder in Vigliani noch in der gesamten Provinz.«
Der Fabrikbesitzer Rinaldi, ein hagerer, gut aussehender Mann Ende der Dreißig, nippte an seinem Glas, setzte es ab und lachte auf.
»Du übertreibst zwar etwas, aber ich stimme dir zu. Der Wein ist tatsächlich große Klasse. Wenn du mir jetzt noch verrätst, wo du den
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