0027 - Die Grotte der Gerippe
das Tal. Immer noch tanzten einige der Indios am Feuer, zuckten ihre braunen, glänzenden Körper auf und nieder in der Ekstase des Peyote-Rausches. Andere waren bereits zu Boden gestürzt, rührten sich nicht mehr. Dies hätte die Stunde sein sollen, wo ihre Seelen Tamatz Kallaumari begegneten, wo sie von ihren Sünden gereinigt waren und erfahren würden, ob ihnen eine glückliche, ehrenvolle Zukunft beschieden sei. Aber die fünfzehn Männer im heiligen Tal des Peyote waren abtrünnig geworden. Sie riefen nicht ihren obersten Gott an, sondern den Teufel, den in die Unterwelt verbannten Herrn der Finsternis, und immer wieder von neuem erhoben sich die wilden, ekstatischen Rufe.
»Tukákame! – Erscheine, o Tukákame! – Tukákame! – Tukákame…«
Niemand hatte bemerkt, daß Bill Fleming und der alte Jacahiro verschwunden waren.
Und niemand sah, wie sich Mulden und Falten in der schroffen Felswand plötzlich mit grünlichem Schimmer füllten, wie das phosphoreszierende Leuchten immer heller wurde und wie sich allmählich die bleichen Knochen der Gerippe herausschälten.
Skelette kletterten aus Höhlen und Felsspalten.
Lautlos und schweigend kamen sie näher – ein unheimliches Heer.
Noch war der Fluch nicht erfüllt, noch konnte Satan Tukákame nicht zurückkehren auf diese Erde. Aber das Heer der toten Azteken war bereit, in seinem Namen Furcht und Schrecken zu verbreiten.
Ein noch junger Huichol sah die Invasion des Schreckens als erster.
Seine Augen weiteten sich.
Aber er war zu entrückt, stand zu sehr im Banne des Peyote-Rausches, um die Gräßlichkeit der Erscheinung richtig zu begreifen.
Nicht Schrecken war es, der ihn erfüllte, keine Angst und kein Impuls zur Flucht, sondern lediglich eine wilde, triumphierende Freude.
»Tukákame!« kreischte er. »Tukákame kommt! Der Herr der Finsternis kommt auf die Welt, und das Heer der Azteken geht ihm voran!«
Zwei, drei Köpfe wandten sich.
Ein paar andere Indios sahen die herannahenden Skelette ebenfalls. Schreie wurden laut, triumphierender, ekstatischer Singsang, und unter den fünfzehn Huichol waren nur wenige, die die tödliche Gefahr begriffen.
Lautlos wie Schatten huschten die Gerippe durch das Tal, sprangen über Gesteinstrümmer, suchten sich ihren Weg zwischen hochragenden Felsblöcken und kamen immer näher. Die bleichen Knochen leuchteten grünlich. Leere Augenhöhlen stierten, Zähne bleckten sich, und aus dem ersten halben Dutzend Horrorgestalten wurde eine ganze Armee.
Der junge Huichol, der sie als erster gesehen hatte, wankte ihnen entgegen.
»Tukákame!« rief er. »Komm, Tukákame! Komm zu deinen Dienern, komm… komm …«
Das erste Gerippe erreichte ihn.
Der Indio wollte auf die Knie fallen, aber die Knochenhände fingen ihn ab. Lange, bleiche Finger schlossen sich um seine Kehle, drückten erbarmungslos zu, und der beschwörende Schrei erstickte in einem dumpfen Röcheln.
Die Huichol, die der Szene am nächsten waren, erstarrten förmlich.
Selbst in ihre benebelten Hirne drang das Grauen. Wie festgebannt verharrten sie, ihre eben noch im Peyote-Wahnsinn flackernden Augen weiteten sich. Fassungslos starrten sie auf den im Todeskampf röchelnden Mann, hörten das Knacken, mit dem ihm das Genick gebrochen wurde – und sahen, wie das mörderische Skelett jäh den Hals des Opfers losließ, es bei den Schultern packte und ihm mit einer blitzartigen Bewegung die Zähne in die Kehle schlug.
Blut schoß aus der Wunde.
Stoßweise rann es über die Brust des jungen Mannes, färbte die bleichen Knochen des Totenschädels. Wild schleuderte das Gerippe den Indio zu Boden, warf sich über ihn und begann, sein Blut zu trinken.
Gellendes Gelächter zitterte in der Luft.
Eine Stimme, die von überall zugleich zu kommen schien, als steige sie aus den Felsen und der Erde auf:
»Wehe euch! – Wehe! – Ihr habt Tukákame gerufen, und er wird über euch kommen! Euer Blut wird vergossen werden für die Heere der toten Azteken! Euer Blut gehört uns! Es wird Tukákames Dienern Kraft geben, seine Rückkehr vorzubereiten. – Wehe! – Denn ihr seid verdammt, in den Reihen der toten Azteken zu kämpfen bis in alle Ewigkeit. – Verflucht seid ihr! Verflucht…«
Die von Entsetzen gelähmten Huichol hatten keine Chance.
Wie eine Springflut des Schreckens kamen die Gerippe über sie.
Drei, vier von den Horrorgestalten stürzten sich gleichzeitig auf jeden der Indios.
Das heilige Tal der Huichol wurde Schauplatz eines furchtbaren
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