0027 - Die Grotte der Gerippe
gegenüber. Aber Zamorras Entschlossenheit hatte auch in ihr eine leichte Unruhe geweckt. Sie war schweigsam, nachdenklich. Von einem Taxi ließen sie sich zum Maria Isabel-Sheraton bringen, fragten nach Señor Uvalde – und ein paar Minuten später standen sie ihm gegenüber.
Der mexikanische Historiker war sehr klein, sehr schlank und sehr elegant. Schlohweißes Haar und ein weißer Spitzbart umrahmten ein schmales Gesicht, das noch erstaunlich glatt war. Freundliche braune Augen musterten die Fremden. Er schüttelte ihnen die Hände und lud sie mit vollendeter Grandezza zu einem erfrischendem Drink in seine Suite ein.
In der nächsten halben Stunde stellte sich heraus, daß Christofero Uvalde bereits alle Vorbereitungen für eine Expedition ins Huichol-Gebiet getroffen hatte.
»Ein Hubschrauber wird uns von Guadalajara nach Coalcomán de Jalisco bringen«, sagte er. »Von dort aus können sie ebenfalls mit dem Hubschrauber bis ins sogenannte Tal des Jaguars weiterfliegen, falls sich einer der Huichol bereitfindet, Sie zu führen. Ein Tagesmarsch durch die Sierra bleibt Ihnen nämlich nicht erspart, und jeder Ortsunkundige wäre verloren. Ich kann Sie leider nur bis Coalcomán begleiten.« Er hob die Achseln und machte eine bedauernde Geste. »Mein Herz macht nicht mehr so gut mit, müssen Sie wissen.«
»Sie tun weit mehr für uns, als wir je erwartet hätten, Señor Uvalde, Sie…«
»Ich tue es gern.« Der Mexikaner lächelte. »Außerdem bin ich auch persönlich sehr am Ausgang von Señor Flemings Unternehmen interessiert. Falls die Señora übrigens mitkommen möchte – die Huichol sind gastfreundlich, und der Aufenthalt im Dorf dürfte sicher ein angenehmes Erlebnis werden.«
»Ich komme gern mit«, sagte Nicole. »Und ich würde auch den Tagesmarsch durch die Sierra überstehen.«
»Das ist ausgeschlossen, Señora. Keine Frau darf den Boden des heiligen Tals betreten. Niemand würde sich unter diesen Umständen als Führer zur Verfügung stellen.«
Nicole spürte, daß es sinnlos war zu widersprechen. Außerdem kam sie bei näherer Überlegung zu der Ansicht, daß sie wohl doch ihre Kräfte überschätzte. Zwar war sie nie in der Sierra Madre Occidental gewesen, aber sie hatte sich während des Flugs im Reiseführer orientiert und wußte Bescheid über das mörderische Wüstenklima der Hochtäler.
»Und wann starten wir?« fragte sie unternehmungslustig.
Uvalde machte eine ausholende Geste. »Wann immer Sie es wünschen? Aber ich nehme an, daß Sie sich nach dem anstrengenden Flug zunächst ein paar Tage ausruhen möchten.«
»Mir wäre es am liebsten, sofort zu starten«, widersprach Zamorra. »Ich kann Ihnen beim besten Willen die Gründe nicht erklären, aber…«
Die klugen Augen des Mexicaners sahen ihn an. »Es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich nicht erklären lassen, Señor. Und die Seele des Menschen ist oft weiser als sein Gehirn. Ich verstehe Ihre Sorge…«
Für einen Moment blieb es still. Zamorra atmete tief durch und lächelte.
»Das freut mich, Señor Uvalde. Es wäre mir unangenehm, wenn Sie glaubten, daß ich Ihnen nicht traue.«
»Es wäre nicht verwunderlich, denn Sie kennen mich nicht. Aber Sie sind ein Mensch, der weiß, wo er vertrauen kann und wo nicht, das spüre ich, Professor. Ich würde Ihnen raten, ein oder zwei Stunden zu schlafen, da Sie Ihre Kraft brauchen werden. Danach hole ich Sie ab. Was wir an Ausrüstung benötigen, habe ich bereits im Hubschrauber verstauen lassen.«
Zamorra stimmte zu.
Er nahm je ein Zimmer für Nicole und sich. Sie schliefen zwei Stunden, duschten, machten sich frisch und nahmen einen kleinen Imbiß. Danach wartete bereits ein Taxi draußen, und zusammen mit Christofero Uvalde fuhren sie zum Flughafen zurück.
Bis Guadalajara nahmen sie einen Kurzstrecken-Jet der »Mexicana«. Der Flugplatz lag etwas außerhalb, der private Hubschrauber-Landeplatz ganz in der Nähe, und Nicole und Zamorra erwischten lediglich einen kurzen Blick auf die zweitgrößte Stadt von Mexico.
Die malerische, wild zerklüftete Bergwelt der Sierra Madre Occidental, die sich wenig später unter ihnen ausbreitete, entschädigte sie dafür. Der Hubschrauberpilot hieß Joaquin Sabinas, war drahtig, dunkelhäutig und schweigsam und verstand sein Fach. Fast zweihundert Kilometer flog er den Helikopter über eine einsame, weglose Landschaft von grandioser Schönheit, dann fand er mit träumwandlerischer Sicherheit die Bergfalte, in die sich das
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