Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
003 - Der Totentanz

003 - Der Totentanz

Titel: 003 - Der Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alphonse Brutsche
Vom Netzwerk:
weitere Diskussionen mit ihm einlassen. Mit langen Schritten eilte er den Hauptweg entlang. Der Alte blieb ihm auf den Fersen. Pierre war erleichtert, als er die Lampen der Hauptallee sah, die im Wind hin und her schwankten.
    Ohne seinen Schritt zu verlangsamen, warf er einen Blick auf seinen Begleiter. Er war mit einem langen Mantel bekleidet, der alles andere als neu oder sauber war. Dazu trug er einen Rollkragenpullover. Auf seiner Brust hing ein goldener Anhänger in Form eines Menschenkopfes an einer Kette. Seine Beine steckten in Kordhosen und Gummistiefeln. Das Gesicht war von wirrem grauem Haar umrahmt, das ihm fast bis zu den Schultern reichte. Seine Züge waren derb, aber gutartig.
    Pierre hoffte, den Alten so schnell wie möglich loszuwerden.
    Sie kamen ans Tor. Die beiden eisernen Flügel waren geschlossen. Pierre versuchte sie zu öffnen, aber es war vergeblich. Der Wächter hatte wohl angenommen, dass niemand mehr auf dem Friedhof sei, und zugeschlossen. Pierre hatte keine Bedenken, ihn zu stören. Er wandte sich dem Pförtnerhäuschen zu.
    In diesem Moment schloss sich wieder die Hand des Alten um sein Handgelenk. Merlin sah ihn ärgerlich an. Aber der Alte blickte ihm fest in die Augen. Pierre bemerkte überrascht, dass der Mann leuchtend blaue Augen hatte. Ihr Blau war von einer Reinheit und Helligkeit, die ihnen geradezu hypnotische Kraft verlieh. Auch war ihr Ausdruck voller Güte und Aufrichtigkeit. Der alte Mann sah, dass sich Pierres Unwille rasch legte, und ein breites Lächeln erhellte seine Züge.
    »Na also, jetzt werden Sie ja vernünftig«, sagte der Vagabund. »Nun sind Sie dem alten Bornimus also nicht mehr böse. Ja, Jeobald Bornimus, so heiße ich. Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Tür. Wir brauchen den guten Marcheval nicht zu stören. Der sitzt jetzt schon vor dem Fernsehapparat. Den Dienst hat er hinter sich, da hat er sich seine Ruhe verdient. Kommen Sie mit. Ich kenne eine kleine Tür, die für mich persönlich reserviert ist, und für meine … Freunde, so wie Sie.«
    Der Alte nahm Pierre am Arm und zog ihn mit sich. Sie gingen an der Mauer entlang, die dem Häuschen des Wächters gegenüberlag. Diesmal versuchte Pierre nicht, sich von ihm loszumachen.
    »Vorhin, kurz ehe wir uns begegneten«, fuhr Bornimus fort, »unterhielt ich mich gerade mit einem … nun, mit einem Kunden. Ja, man kann ihn ruhig als Kunden bezeichnen. Sie haben uns ja gehört, nicht wahr?« Bornimus zwinkerte ihm zu. Pierre schämte sich ein wenig seiner Neugier von vorhin. Er nickte verlegen.
    »Ich habe aber nicht verstanden, was Sie sagten«, versicherte er hastig. »Ich habe Ihre Stimmen gehört, während ich …« er verstummte.
    »Während Sie sich bemühten, mit Ihrer lieben Frau Verbindung aufzunehmen, nicht wahr? Nur leider, leider antworten die Toten nicht. Sie sind uns so fern, so unendlich fern. Zumindest wenn man nicht weiß, wie man sie rufen muss. Aber wenn man es weiß, dann … ja, dann können sie wieder bei uns sein wie einst.«
    Jetzt fing der alte Narr schon wieder an. Wollte er ihm tatsächlich einreden, dass …? Aber ausreden lassen konnte man ihn ja. Jeder hatte eben seinen Tick. Vielleicht war das der einzige Lebensinhalt des Alten, den Besuchern der Friedhöfe verrückte Geschichten zu erzählen.
    Deshalb sagte Pierre nachsichtig: »Und Sie wissen natürlich, wie man es machen muss.«
    »Mein lieber Merlin, Sie wollen sich wohl über mich lustig machen.« Bornimus drohte ihm lächelnd mit dem Finger. »Sie glauben mir nicht, ich wollte Ihnen doch gerade von jenem anderen Mann erzählen. Auch er hat mir zunächst nicht geglaubt. Aber dann … Er hat seinen Bruder verloren. An diesem Bruder hing er mehr als an irgendeinem anderen Menschen. Er hat sich schließlich von mir überzeugen lassen. Gestern habe ich dann meine Zeremonie vorgenommen. Normalerweise dauert es ein bis zwei Tage, bis sie kommen. Es hängt davon ab, wie tief sie beigesetzt worden sind, und auch von der Festigkeit des Sarges. Vor allem aber davon, wie lange sie tot waren. Denn es ist ja klar, je weniger Zeit seit ihrem Tod verstrichen ist, desto schneller kommen sie wieder zu Kräften. Ein Jahr ist keine lange Zeit. Es ist doch ungefähr ein Jahr her, nicht wahr, seit Ihre Frau auf die Auferstehung wartet?«
    Die blauen Augen sahen Pierre fest an.
    In ein, zwei Tagen. Ich muss nur … Je weniger Zeit seit ihrem Tod verstrichen ist, desto schneller kommen sie wieder zu
    Kräften …
    Was für ein Unsinn! Warum

Weitere Kostenlose Bücher