003 - Die schwarze Rose
mehr und nicht weniger.
Nach Geld und Besitz hatte er nie gestrebt. Seine wahren Interessen lagen viel tiefer. Und das mochte gefährlich werden.
Er verließ den Rosengarten, bog nach links und betrat das Labyrinth.
Ohne auf den Weg zu achten - mit verbundenen Augen konnte er den Irrgarten durchqueren dachte er über Chloes Vorschlag nach. Immerhin hatte sie die Grundlagen der eventuellen Beziehung klar umrissen und schien nichts zu erwarten, was darüber hinausgehen würde. Also würden sie keine richtige Ehe führen - was ihn irgendwie störte.
Während er das Angebot aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten suchte, strich er mit allen Fingern durch sein dichtes goldblondes Haar. Natürlich wäre es eine richtige Ehe in den Augen der Kirche und vor dem Gesetz. Und wenn sie beide bereit waren . . . Wenn er ihr alles beigebracht hatte, was sie wissen musste . . .
Erbost verdrängte er diesen Gedanken.
Am anderen Ende des Labyrinths angelangt, schlenderte er durch den immergrünen Garten zum Teich. Im Frühling war das Anwesen atemberaubend schön. Aber er fand Chacun à Son Goût zu jeder Jahreszeit unvergleichlich. Und plötzlich erschien ihm die Aussicht, den Rest seines Lebens mit Chloe hier zu verbringen, sehr verlockend.
Sie hatten sich in all den Jahren großartig verstanden. Und aus irgendeinem Grund war sie ihm immer besonders vertraut gewesen. Obwohl er seinen Onkel bewunderte und dessen Gesellschaft schätzte, dachte er stets an Chloe, wenn er sich nach diesem Haus sehnte, seinem einzigen „Heim".
Vielleicht fühlte er sich deshalb verantwortlich für das Mädchen. Er lächelte verträumt. Trotz ihres spitzbübischen Wesens und ihrer Neigung zu albernen Eskapaden war sie lieb und gut. Das Bild der achtjährigen Chloe erschien vor seinem geistigen Auge . . .
In der Nähe schnatterte eine Gans ihren Gänserich an und störte John in seinen Gedanken. Er setzte sich ins weiche
Gras am Ufer des Teichs, unter tief hängenden Weidenzweigen, und spürte eine milde Brise, die sein schulterlanges Haar bewegte. Während er auf das Wasser blickte, erinnerte er sich an seine Kindheit.
Wie der Sohn war auch der Vater ein Lebemann gewesen. Doch der verstorbene Viscount hatte sich nicht für Frauen, sondern für Spielsalons interessiert. Kurz nach Johns fünftem Geburtstag hatte der Vater vor dem Ruin gestanden. Und als der Junge acht Jahre alt war, fand man den Viscount mit einer Kugel im Kopf, die er vermutlich selbst abgefeuert hatte. Seltsamerweise blieb die Mutter dem Taugenichts stets in Liebe verbunden, sogar in jenen schweren Zeiten, nachdem er seine Familie mittellos zurückgelassen hatte. Der Landsitz und das Erbe waren verloren, und sie mussten in einem Cottage hausen. So gut sie es vermochte, sorgte die Mutter für ihren Sohn. Ein paar Jahre später starb sie, angeblich an einem Blutstau in der Lunge. Aber John wusste es besser. Von ihrer übermächtigen Liebe erfüllt, war sie verwundbar gewesen. Und die Spielsucht des Vaters hatte sie alle ins Unglück gestürzt.
In den Augen eines empfindsamen, leicht beeinflussbaren Kindes war dies nicht das beste Beispiel für eheliche Freuden. Und es weckte auch Zweifel am Sinn der Liebe.
Während der schwierigen nächsten Jahre sprach John mit niemandem darüber - der verletzliche Junge hatte gelernt, sein Herz und seine Seele zu verschließen.
Als er sechzehn Jahre alt und halb verhungert war, wurde er von seinem Onkel aufgespürt. Trotz aller Härten des Lebens hatte John seinen einzigartigen Humor und seine Courage bewahrt. Nach Maurices Überzeugung war es reine Tollkühnheit, die den jungen Viscount vor einem schlimmeren Schicksal gerettet hatte. Mit diesem Wesenszug verband sich die Neigung, alle Gefühle zu verbergen. Hinter seiner verwegenen, arroganten Pose verschanzte er sich auch weiterhin.
In jenern Jahr hatte er Chloe kennen gelernt, ein sechsjähriges Waisenmädchen mit fröhlichen violetten Augen und fuchsrotem Haar. Ihre gewinnende Persönlichkeit und ihre schelmische Art entzückten den jungen Viscount vom ersten Augenblick an.
Bald stand Chloe im Mittelpunkt seines Lebens. Er hatte sie betreut, beschützt und geliebt.
Seit damals fühlte er sich für sie verantwortlich. Er glaubte, nur er würde erahnen, was ihr zustoßen mochte, und deshalb wäre er der Einzige, der sie gegen die Gefahren dieser Welt abschirmen konnte. Dass ihr nichts dergleichen drohte, kam ihm gar nicht in den Sinn. Er dachte an das Leid, das er selbst als
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