0034 - Dracula gibt sich die Ehre
mächtig vor ihm aufragte. D. Kalurac war noch ein Vampir des Klassizismus. Seine dunkle Kleidung, sein langer Mantel, sein gesamtes Gehabe flößte irgendwie Vertrauen ein.
Und er strotzte vor Kraft, was man von den Mortimers nicht gerade behaupten konnte.
Kalurac nahm wieder auf dem Steinpodest Platz. Seine farblosen Lippen in dem bleichen Gesicht verzogen sich zu einem Lächeln.
»Du glaubst es immer noch nicht, wie?«
Ezra Mortimer schüttelte den Kopf. »Nein, großer Kalurac, ich kann es nicht glauben. Zu lange waren wir unterdrückt. Nicht die Menschen fürchteten sich vor uns, sondern wir uns vor ihnen. Und das ist schlimm. Früher, wenn wir in mondhellen Nächten auftauchten, dann flohen sie vor uns. Aber sie hatten keine Chance, wir holten sie uns doch. Vor allen Dingen die Jungfrauen.«
Der Vampir kicherte, als er das sagte, und rieb sich die Hände. Es hörte sich an, als würde Papier gegen Papier rascheln.
»Aber dann änderten sich die Zeiten«, fuhr er fort. »Viele machten Jagd auf uns, man rottete uns förmlich aus. Autos wurden erfunden, Vögel, mit denen man fliegen konnte, kamen hinzu. Man nahm uns die Wälder, holzte sie ab, und wir mußten fliehen. Die Zeit eilte sehr schnell. Angst hatten die Menschen immer noch, aber sie besaßen schreckliche Waffen. Rohre, die richtiges Feuer speien konnten und uns zu Asche verbrannten. Wir trauten uns nicht mehr, einen Menschen anzufallen. Unsere Sippen wurden dezimiert, wir mußten flüchten. Es wurde immer schwerer, einen Platz zu finden, an dem wir uns verstecken konnten. Schließlich ernährten wir uns von Tierblut, was bewirkte, daß unsere Kräfte nachließen. Immer schwächer wurden wir, immer tiefer zogen wir uns in die Wälder zurück, hausten in Höhlen, weil es zu gefährlich für uns war, den Tag in einem Sarg oder einer Gruft zu verschlafen.«
D. Kalurac nickte. »Ich weiß, was ihr durchgemacht habt. In meinen Träumen habe ich es gesehen. Mein Geist wanderte durch die Dimensionen, bis ich beim Meister der Schatten, dem Spuk, landete.«
»Ihn habe ich noch nie gesehen«, sagte Mortimer. »Sei froh, denn sein Reich ist der Friedhof der Dämonen oder der Vorhof zur Hölle. Bei ihm leben die durch einen Fluch gefangenen Seelen und warten auf eine Erlösung. Ob sie irgendwann einmal kommt, das weiß niemand. Die Ungewißheit ist schrecklich. Aber auch ich habe in der Zeit gelernt, ich habe die Welt beobachten können, allerdings ohne einzugreifen. Ich habe mitbekommen, wie Menschen – normale Menschen – uns plötzlich den Kampf ansagten. Wie dieser John Sinclair.«
Ezra Mortimer stieß ein dämonisches Knurren aus. »Laß diesen Namen aus dem Spiel.«
Kalurac lachte. »Wieso? Kennst du ihn?«
»Nein, aber ich habe Schlimmes über ihn gehört.« Der alte Mortimer rieb wieder seine Hände gegeneinander.
»Ein Grund mehr, um sich dieses Sinclairs anzunehmen«, sagte Kalurac. »Bevor wir unseren großen Plan in die Tat umsetzen können, müssen wir ihn vernichten.«
Er lachte plötzlich. »Nach Rumänien haben wir ihn gelockt, und dort sitzt er fest. Wenn er zurückkommt, haben wir seine Freunde in der Gewalt. Und er wird alles tun, um sie zu befreien. Sinclair frißt uns aus der Hand, glaube mir.«
Mortimer zog ein zweifelndes Gesicht. »Er ist stark, vergiß das nicht, großer Kalurac.«
»Hast du schon wieder Angst?«
»Nein, ich bin nur vorsichtig.«
»Ach, Unsinn. Sinclair ist ein Mensch. Er gehört zu der Sorte, die für seine Freunde alles tun. Der würde sich uns sogar ausliefern, dieser Narr.«
»Und dann?«
Kalurac spreizte die Finger und führte zwei kreisrunde Bewegungen mit den Händen durch. »Was ich mir für ihn ausgedacht habe, sage ich nicht. Auf jeden Fall wird es schlimmer als die Hölle sein. Da sei sicher, du Zweifler.«
Quietschend wurde die alte Eingangstür der Leichenhalle aufgezogen. Carl Ceprac, Anführer der österreichischen Sippe, betrat die Halle. Er verbeugte sich vor Kalurac.
»Nun?« fragte der König der Vampire. »Was ist?«
»Es ist ruhig draußen. Der Mond scheint hell, und ich fühle, wie meine Kräfte zurückkehren.«
»So muß es auch sein. Bald wirst du soviel Kraft haben wie nie zuvor.«
»Eigentlich müßten die anderen schon zurück sein«, sagte Ceprac.
Kalurac winkte ab. »Gut Ding braucht Weile. Dieses Sprichwort kennst du doch.«
»Sicher. Aber wir leben in unruhigen Zeiten, und da kann leicht etwas passieren.«
»Vergiß deine Ängstlichkeit, denn ich, Draculas Neffe, bin
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