0034 - Dracula gibt sich die Ehre
Sein Mund stand offen. Keuchend schnappte er nach Luft, tat noch einen unsicheren, taumelnden Schritt – und fiel. Schwer krachte der massige Mann zu Boden. Das Innere seines Körpers schien in Flammen zu stehen. Das Gift des rothaarigen Vampirs wühlte in seinen Adern. Er versuchte auch gar nicht mehr, dagegen anzugehen. Weit riß er die Augen auf, wollte soviel Eindrücke wie möglich mit nach »drüben« nehmen. Er sah, daß sich die weiße Decke verfärbte und zu einem rasenden blutroten Nebel wurde, der sich immer tiefer senkte und den Mann schließlich verschluckte. Ein letzter, saugender Atemzug. Dann war es still.
Die Stille des Todes lag über der Wohnung. Dom de Louise war gestorben, als Mensch gestorben, doch als Vampir würde er wiederauferstehen, um Kaluracs höllischen Auftrag zu erfüllen…
***
Hoffnungslos!
Ein anderes Wort fand Sheila Conolly für ihre Lage nicht. Tief unter der Erde war sie eingekerkert in einem finsteren Gewölbe mit dicken festen Mauern, die ein Entkommen so gut wie unmöglich machten.
Die Vampire hatten Sheila nicht gefesselt. Sie konnte sich frei bewegen. Auch die Luft war nicht so schlecht, wie Sheila befürchtet hatte.
Fackeln tauchten das Gewölbe in ein dämmriges Zwielicht, bemalten die Wände mit ihren tanzenden Schatten und formten immer neue Figuren, die Sheila vorkamen wie Gestalten aus einer anderen Welt. Grausam war die Einsamkeit.
Sie war völlig allein hier unten, hatte niemanden, mit dem sie reden konnte. Automatisch kamen die Gedanken. Sie hatte sich überraschen lassen, war den Vampiren wie eine Anfängerin in die Falle getappt und machte sich jetzt die bittersten Vorwürfe. Nur – wer hätte das ahnen können? Nie hatte sie damit gerechnet, daß ein Angriff der Dämonischen erfolgen würde, sie hatte sich in Sicherheit geglaubt und sich auf einen Theaterabend gefreut.
Sheila Conolly begann damit, ihre Einstellung zu überdenken. Sie glaubte, sich losgesagt zu haben von einem Leben, das Bill Conolly vor ihrer gemeinsamen Hochzeit geführt hatte. Sheila nahm an, daß alles vorbei war, doch sie sah sich getäuscht. Schon bei der Geburt ihres Sohnes hätte sie mißtrauisch werden müssen, als die Bösen gnadenlos zuschlugen. Doch Sheila hatte gehofft und damit gerechnet, daß alles vorbei war. Sie hatte sich getäuscht.
Wer einmal gegen die Mächte der Finsternis gekämpft und ihnen Schaden zugefügt hatte, den ließen sie nicht mehr los. Sie verfolgten ihn auf Schritt und Tritt, mit dem Ziel, ihn zu vernichten.
Und Bill hatte an John Sinclairs Seite gekämpft. Viele Fälle hatten sie gemeinsam gelöst. Es lag auf der Hand, daß Sheila ebenfalls in den höllischen Strudel mit hineingerissen wurde. Sie kannte das Sprichwort: mitgefangen – mitgehangen…
Bei ihrem letzten Abenteuer hatte es wenigstens noch eine Chance zur Flucht gegeben. Aus einem Krankenhaus konnte man fliehen, durchs Fenster, zum Beispiel. Jetzt aber hockte sie in einem Verlies tief unter der Erde ohne Kontakt zur Außenwelt. Das machte sie so fertig.
Sheila Conolly dachte an ihren Sohn. Sie war heilfroh, daß nicht auch er in die Hände der Blutsauger gefallen war. Und Sheila betete, daß Bill, ihr Mann, den kleinen John in Sicherheit bringen würde. Alles andere war ihr egal.
Trotz der miesen Situation, in der sich Sheila befand, arbeitete ihr Verstand klar und präzise. Daß die Vampire sie nicht direkt angegriffen hatten, ließ darauf schließen, daß sie noch etwas mit ihr vorhatten. Wahrscheinlich sollte sie als Geisel benutzt werden, um an John und Bill herankommen zu können. Ein einfacher Plan, aber wirkungsvoll.
Wie sie John kannte, würde er sicherlich darauf eingehen. Und sie wußte weiter, daß die verdammten Höllengeschöpfe falschspielten. Noch nie hatten sie ihr Wort gehalten. Für Vampire gab es Begriffe wie Ehre, Moral und Anstand nicht. Für sie zählte nur das Böse.
Sheila begann, in ihrem riesigen Gefängnis auf- und abzuwandern und es zu untersuchen. Manchmal hatte sie das Gefühl, ihren Tränen freien Lauf lassen zu müssen, doch immer wieder riß sie sich zusammen.
Die hohen, deckenstützenden Säulen waren durch Rundbögen miteinander verbunden. Sheila kam sich klein und verloren vor. Dieses Gewölbe war uralt, und sie fragte sich, wozu es einmal gedient haben mochte.
Sheila fand sehr rasch eine Antwort, denn als sie tiefer in das Gewölbe eindrang, verengte es sich, und Sheila betrat einen ziemlich breiten Gang.
Es war dunkel hier. Der Lichtschein
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