0034 - Dracula gibt sich die Ehre
der Fackeln drang nur sehr schwach herüber, so daß Sheila erst im letzten Augenblick die Nischen entdeckte, die sich groß wie Zimmer in die Wände hineinschoben.
Neugierig trat Sheila näher. Mit einem Schrei führ sie zurück.
Knochen, Gebeine, Totenschädel – in einem wirren Durcheinander lagen sie in den Nischen übereinander gestapelt. Sheila schloß die Augen und legte ihre Hand gegen das hämmernde Herz.
Dieser fürchterliche Anblick hatte sie geschockt. Sie erinnerte sich daran, daß sie einmal Katakomben besichtigt hatte, in denen es ähnlich aussah. Die Nischen beherbergten die Gebeine zahlreicher Pesttoter.
Sollte dieses Gewölbe ähnliches beherbergen? Eine andere Erklärung gab es für Sheila nicht.
Sie verließ den Ort des Schreckens, schritt wieder zurück und fühlte sich unsagbar einsam und verloren. Die Pelzjacke hatte sie zum Glück noch anbehalten, so daß sie vor der ärgsten Kälte geschützt war.
Ein knarrendes Geräusch ließ sie aufhorchen. Sheila blieb stehen und lauschte.
Die Tür war geöffnet worden.
Schritte!
Sie kamen die Treppe herunter, näherten sich dem Gewölbe.
Ängstlich preßte sich Sheila gegen eine der Säulen. Kamen die Blutsauger jetzt, um sie zu holen?
Es war Kalurac persönlich, der sich herunterbemühte. Der Widerschein einer Fackel geisterte für einen winzigen Moment über sein Gesicht und machte es zu einer Teufelsfratze.
Kalurac hielt etwas auf dem Arm. Er bückte sich und ließ das Etwas auf der zweitletzten Stufe liegen.
»Ein Geschenk für dich!« rief er mit höhnischer Stimme.
Dann drehte er sich um und verschwand wieder.
Sheila hatte eine schreckliche Vermutung. Hastig lief sie auf die Treppe zu, und schon auf halben Weg wurde die Vermutung zur Gewißheit.
Das Weinen eines kleinen Kindes durchschnitt die Stille.
»Johnnnyyy…!« brüllte Sheila und warf sich weinend neben der Treppe zu Boden…
***
Ein Toter wurde wieder wach!
Ein Mann, dessen Herz aufgehört hatte zu schlagen, der aber trotzdem noch lebte, dabei nicht atmete, der kein Spiegelbild mehr hatte und keinen Schatten mehr warf.
Der Mann war ein Vampir, und er hieß mit bürgerlichem Namen Dom de Louise.
Er sah zwar noch aus wie ein Mensch, doch er fühlte längst als ein Geschöpf der Hölle. Er hatte lange gelegen, zu lange, denn normalerweise hätte er schon im Büro sein müssen.
Schwerfällig stand er auf. Noch immer trug er den Bademantel.
Mit einem Ruck schleuderte er ihn von seinem Körper, schritt in sein Schlafzimmer, öffnete den Ankleideschrank und suchte seine Kleidung heraus.
Er wählte genau, sorgte dafür, daß die Sachen zueinander paßten. So hatte er es als Mensch auch immer gehalten.
Dann läutete das Telefon. Er zuckte zusammen, überlegte, ob er abheben sollte, und entschloß sich, es zu tun. »Ja«, meldete er sich.
Harold Farmer, sein Assistent, war dran. »Sir, ich dachte, es wäre Ihnen etwas passiert. Wir waren beunruhigt, weil Sie nicht…«
»Ich fühle mich nicht wohl«, gab der Vampir zurück.
»Dann kommen Sie nicht ins Büro?«
Jetzt huschte ein böses Lächeln um die Lippen des Blutsaugers. »Doch«, erwiderte er, »ich komme, Farmer. Ganz bestimmt sogar. Warten Sie ab.«
»Jawohl, Sir!«
De Louise legte auf. Er band sich eine Krawatte, schlüpfte in das maßgeschneiderte Nadelstreifenjackett, nahm seinen Aktenkoffer und wollte die Wohnung schon verlassen, als abermals das Telefon anschlug. Diesmal war der Anrufer eine Frau.
»Ich hoffe, du hast gut geschlafen, Dom«, vernahm er die Stimme der rothaarigen Rebecca.
»Ja, wundervoll.«
»Und wie fühlst du dich?«
»Prächtig.«
»Du weißt, was der König verlangt?«
»Ich weiß es.«
»Wirst du dich daran halten?«
»Ich werde Kalurac nicht enttäuschen.«
Rebecca lachte. »Dann bis später. Wir rufen wieder an und verlangen einen Bericht.«
Der Vampir legte auf. Kalurac. Vor einem Tag noch hätte er mit diesem Namen nichts anzufangen gewußt, doch jetzt wußte er, wer sich dahinter verbarg. Sein Herr und Meister, dem er zu gehorchen hatte. Eine große Sehnsucht erfaßte ihn, diesen Kalurac einmal kennenzulernen. Die Zeit würde kommen, da war er sich ganz sicher. Und wenn Kalurac befahl, mußte man gehorchen.
Der Vampir verließ seine Wohnung.
Eine Aufwartefrau kam ihm entgegen. Sie grüßte freundlich, doch de Louise erwiderte den Gruß nicht. Er sah nur den Hals der Frau und die Adern unter der Haut pochen. Plötzlich überkam ihn die Gier.
Seine Lippen zuckten, er
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