0034 - Dracula gibt sich die Ehre
nach Ihnen gefragt, Sir. Ich habe ihm gesagt, daß…«
»Geschenkt, Farmer.«
»Wie Sie wünschen, Sir.« Der Knabe blieb aalglatt. »Darf ich dann die Unterlagen bei Ihnen abgeben?«
»Worum handelt es sich?«
»Um das Staudammprojekt in Afrika. Sie wissen schon, die Sache, an der sich außer uns noch andere Länder beteiligen wollen. Auch die Deutschen sind dabei…«
»Ja, ja, schon gut, Farmer. Ich werde mir die Unterlagen selbst ansehen. Sie können dann gehen.«
»Wie Sie wünschen, Sir!«
Harold Farmer deutete eine Verbeugung an und verschwand. Am liebsten würde er mir den Dolch in den Rücken bohren, dachte der Untote. Er schaute hinter seinem Assistenten her. Wie von selbst zog er die Lippen zurück und bleckte seine beiden Vampirzähne.
Die Sucht steigerte sich. Er ballte beide Hände zu Fäusten, keuchte und knurrte, warf sich auf seinem Sessel hin und her und wartete, bis der Anfall vorüber war. Wieder einigermaßen bei Kräften, griff er zum Sprechapparat und sagte seiner Sekretärin, daß er nicht gestört werden wollte. Dann ließ er seinen Kopf schwer auf die Schreibtischplatte fallen und blieb in der Haltung hocken. Die Zeit verrann. Aus Minuten wurden Stunden. Die Mittagszeit kam. Die meisten gingen jetzt zum Essen. Einer der wenigen, die fast immer dablieben, war Harold Farmer. Die Sucht wurde stärker. Es erschien Dom de Louise fast unmöglich, seinen eigentlichen Auftrag zu erfüllen. Er hatte am Nachmittag eine Besprechung mit einigen Staatssekretären. Da sollte er zum erstenmal zuschlagen. Alle vier sollten seine Opfer werden… Aber so lange hielt er es nicht aus. Er brauchte es. Zu sehr wütete die Gier in ihm. Es war Mittag. Und da war sein Assistent.
Ihm wollte er schon lange eins auswischen. Gemerkt hatte Farmer nichts. Nein, wer ahnte schon…
Die Finger näherten sich der Sprechanlage, doch kurz zuvor zuckte die Hand wieder zurück. Er traute sich nicht.
»Aber warum eigentlich nicht?« flüsterte er. »Es ist doch kein Risiko dabei. Und mit zwei Leuten ist der Auftrag wesentlich besser durchzuführen.«
Da wagte es de Louise und schaltete die Sprechanlage ein.
»Sir?«
»Bitte – kommen Sie zu mir.«
»Sofort, Sir!«
Wie dienstbeflissen diese verdammte Stimme wieder klang.
Ja, der Kriecher wußte sich zu verkaufen. Zahlreiche Menschen fielen auf ihn herein. Sie hielten ihn für einen tollen Mann. Vor allen Dingen die Frauen. Ob jüngere, ob ältere, Farmer drehte sie alle so, wie er sie haben wollte. Bis die Frauen etwas merkten, war es längst zu spät.
Lächelnd und frisch wie am Morgen betrat Harold Farmer das Büro. Doch seine Augen lächelten nicht. Sie blickten spöttisch, als verwünschten sie Dom de Louise.
»Sie sehen schlecht aus, Sir. Verzeihen Sie.«
»Ja, ich fühle mich heute nicht gut, wenn ich ehrlich sein soll, mein Lieber.«
»Ich weiß, der Streß. Er packt uns alle, Sir.« Harold Farmer legte seine Hände auf den Rücken. »Womit kann ich Ihnen dienen, Sir?«
»Ja, es geht hier um einen Fall, der schon lange zurückliegt.«
»Um welchen, bitte?«
»Gemach, junger Mann, gemach. Ich muß die Akte erst aus dem Schrank holen.« Dom de Louise stemmte sich aus seinem Sessel hoch. Er schritt zu dem in der Wand eingebauten hohen Mahagonischrank und öffnete ihn.
In mehreren Lagen standen die Akten übereinander.
Dom de Louise reckte sich. Die Beleuchtung war nicht gerade optimal. Er konnte nur mit Mühe lesen.
»Soll ich die Vorhänge aufziehen, Sir?« fragte Harold Farmer.
»Nein!« Die Antwort klang barsch und hart.
»Entschuldigen Sie, es war nur eine Frage.« Harold Farmer trat dicht an seinen Vorgesetzten heran. Er war ahnungslos, dachte an nichts Böses.
Jetzt! Jetzt mußt du es wagen!
Dom de Louise versteifte sich.
»Sir, wenn ich Ihnen behilflich sein kann, dann…«
»Neiinnn!« Mit diesem Schrei auf den Lippen fuhr der Vampir herum und warf sich gegen den völlig überraschten Harold Farmer. Die Wucht des Aufpralls war so groß, daß der junge Assistent zu Boden geworfen wurde. Zu seinem Glück dämpfte der Teppich den Fall.
Sofort rollte sich Farmer zur Seite. »Sind Sie wahnsinnig?« schrie er. »Ich werde…«
Dom de Louise packte einen Stuhl.
»Nicht…« In einer verzweifelten Geste hob Farmer die rechte Hand.
Der Vampir schlug zu. Mühelos durchbrach der Stuhl die provisorische Deckung des Mannes.
Dom de Louise aber lachte. Dann beugte er sich nieder, um Harold Farmer den Vampirkuß zu geben…
***
Dom de Louise
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