0034 - Unser Bluff im tödlichen Spiel
möchte?« erkundigte ich mich vorsichtig.
»O nein«, sagte sie. »Sprechen Sie nur! Damit Sie nicht auf falsche Gedanken kommen, will ich etwas vorausschicken: Es läßt mich eigentlich ziemlich kalt, daß Dad jetzt tot ist. Sie finden das natürlich sehr herzlos, nicht wahr? Aber es ist gewissermaßen seine Schuld. Soll ich Ihnen sagen, wann ich meinen Vater zuletzt gesehen habe? Warten Sie — es war — jawohl, vor zwölf Wochen zu meinem Geburtstag. Er gratulierte mir, brachte den unvermeidlichen Geburtstagsscheck als Geschenk, denn er hatte natürlich keine Zeit, sich mal ein persönliches Geschenk einfallen zu lassen, und verabschiedete sich sofort wieder wegen seiner dringenden Geschäfte. Davor habe ich ihn dann gesehen — ja, ich glaube, es war Weihnachten. So, jetzt wissen Sie Bescheid.«
»Ihr Vater war also sehr oft unterwegs?«
»Nicht sehr oft: dauernd! Und wenn man durch Zufall mal von einem Diener erfuhr, daß er im Hause war, dann saß er hier in seinem Privatbüro mit oder ohne geschäftlichen Besuch und wollte auf keinen Fall gestört werden. Oh, er tat alles für uns. Ich bin 19 Jahre alt und besitze schon drei eigene Wagen: einen Chrysler, einen Cadillac und einen deutschen Sportwagen. Ich weiß nicht, ob Sie den Typ kennen: Mercedes 300 SL. Ich glaube, der Wagen war sündhaft teuer, aber Dad schenkte ihn mir zur bestandenen Abschlußprüfung in der Schule. Aber ich hätte ihm den Wagen am liebsten rechts und links ins Gesicht geschlagen, wenn das nur möglich gewesen wäre. Kennen Sie dieses Gefühl: Eltern zu haben und doch keine zu haben?«
»Sie wissen also vermutlich nicht viel über Ihren Vater?«
»Was weiß man schon von den Leuten, mit denen man hin und wieder mal zu tun hat? Ich weiß, daß er jeden Sonntagvormittag in die Kirche ging, obgleich er garantiert nicht an Gott glaubte. Ich weiß, daß er keine Zigaretten, sondern Zigarren rauchte. Ich weiß, daß er jeden Donnerstag später als an den anderen Tagen nach Haus kam…«
»Jeden Donnerstag?« fiel ich schnell ein, denn das interessierte mich doch sehr.
»Ja. Jedenfalls sagte es Rean, der Diener. Rean ist seit einer halben Ewigkeit bei meinem Vater. Er kannte mich schon, als ich noch in der Wiege lag. Er ist mir immer mehr Vater gewesen als mein wirklicher.«
»Sa Und dieser Rean sagte Ihnen, daß Ihr Vater donnerstags später als sonst nach Hause käme?«
»Ja. Irgendwann erwähnte er es einmal.«
»Wie kann man feststellen, wo er donnerstags hinzugehen pflegte?«
»Fragen Sie George, den Fahrer! Oder Ben, den zweiten Fahrer. Einer von beiden muß es wissen.«
»Wo kann ich die Fahrer finden?«
Sie stand auf. »Ich hole sie Ihnen. Sie finden sich in diesem Haus ja doch nicht zurecht.«
In der Tür drehte sie sich noch einmal um und rief zurück: »Bedienen Sie sich selbst mit dem Whisky, wenn er Ihnen schmeckt!«
Dann rollte die Tür lautlos hinter ihr zu. Ich sah ihr einen Augenblick lang nach, dann wollte ich mein Glas austrinken. Dabei sah ich, daß sie nicht einen einzigen Schluck aus ihrem Glas getrunken hatte. Obwohl sie mir zugeprostet hatte! Na, das war aber sehr eigenartig…
***
Nach ein paar Minuten kam sie mit einem ziemlich jungen Mann wieder. Sie stellte ihn vor als Mr. Ben Lipsale, den zweiten Fahrer. Er erhielt einen Platz angeboten und setzte sich schüchtern.
»Mr. Lipsale«, begann ich, »Sie haben Mr. Canderhay gelegentlich auch donnerstags gefahren, ja?«
»Ja, das habe ich.«
»Wohin fuhren Sie jeweils an den Donnerstagabenöen?«
»Jedesmal bis an die Ecke Broadway Fifth Avenue. Dort mußte ich anhalten, und Mr. Canderhay stieg aus.«
»Sahen Sie, in welche Richtung er sich wandte?«
»Ich sah zweimal zufällig, als der Wagen nicht gleich anspringen wollte, daß Mr. Canderhay zu dem Taxistand ging, der dort gleich in der Nähe ist. Einmal sah ich ihn sogar in ein Taxi steigen.«
»Mußten Sie ihn nachts irgendwo abholen?«
»Nein. Die Rückfahrt machte er immer völlig mit einem Taxi.«
»Gut, danke, dann brauche ich Sie nicht mehr.«
Der junge Fahrer verbeugte sich ein bißchen linkisch vor Miß Canderhay, bevor er wieder hinausging.
»Eigenartig«, sagte das Mädchen, als sich die Tür wieder geschlossen hatte.
»Was?«
»Diese ganze Geheimniskrämerei bei diesen Fahrten. Jetzt fällt mir ein, daß meine Mutter auch einmal darauf anspielte.«
»Was sagte sie?«
»Ich weiß es nicht mehr genau. Sie schien zu fürchten, daß er irgendeine fremde Frau besuche, denn er
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