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0039 - Turm der Verlorenen

0039 - Turm der Verlorenen

Titel: 0039 - Turm der Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kubiak
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in die Öffnung hinein. Der Lichtstrahl tanzte über ausgetretene Stufen, die sich in der Tiefe verloren. Es war eine Wendeltreppe, die sich in ziemlich engen Windungen den unteren Stockwerken entgegenschlängelte. Trotzdem konnte Zamorra nicht einmal die obere Windung in voller Länge überschauen. Es schien, als wäre die herrschende Dunkelheit etwas Körperliches, Greifbares, das sich der Helligkeit entgegenstellte und ihr das Eindringen verwehrte.
    Nichts wies daraufhin, dass jemand sein Kommen gehört hatte. Es rührte sich kein Laut in der Tiefe, und auch kein Lichtschimmer glitt suchend über die Wände. Zögernd betrat der Professor die Treppe und begann seinen Weg ins Innere der unheimlichen Burg.
    Eines hatte er schon bei seiner Kletterpartie bemerkt, sie war viel mächtiger und erdrückender, als man von unten vom Talgrund aus annahm. Die früheren Erbauer schienen viel Platz gebraucht zu haben. Zamorra, der sich auch in der Geschichte ein wenig auskannte, überlegte krampfhaft, wem dieses Schloss wohl gehört haben mochte und was die seltsame nächtliche Erscheinung wohl bedeutete.
    Fast hielt er dieses sonderbare Erlebnis schon für einen Traum, der nichts mit der Realität zu tun hatte. Doch die Leiter oder Lichttreppe war ganz deutlich gewesen und hatte sich vom Schloss bis hinunter zum Talboden erstreckt. Und die sonderbaren Leute aus dem Dorf waren darauf emporgestiegen, als gehörten sie zu der Burg.
    Schritt für Schritt wagte der Professor sich weiter vor in das Unbekannte, das er spüren konnte wie den Atem eines lauernden Raubtieres. Eine Gänsehaut zog sich über seinen Rücken und ließ ihn frösteln. Im Stillen verfluchte er den Tag, als er sich hatte von seinem Freund in Paris überreden lassen, sich um diese sonderbaren Leichendiebstähle in Dublin zu kümmern. Denn dort hatte er Mordius, diesen genialen Wissenschaftler, zum ersten Mal kennen gelernt, der ihn nun quer durch Europa jagte, um seine Rache an ihm zu vollziehen.
    Aber Zamorra durfte jetzt nicht kneifen. Er hatte eine Mission zu erfüllen, die ihm seine Vorfahren mitgegeben hatten. Er als Spezialist für übersinnliche Erscheinungen und unerklärliche Vorgänge musste diese Fähigkeiten einsetzen zum Wohle derer, die nicht ein so gutes Gespür für Geheimnisse hatten wie er.
    Sorgsam bemüht, auf den ausgetretenen Stufen nicht auszugleiten, stieg Zamorra weiter hinunter in die Finsternis. Das Licht seiner Taschenlampe wirkte trübe, und wenn er es nicht besser gewusst hätte, dann hätte Zamorra angenommen, die Batterien wären leer. Doch die hatte er gerade ganz frisch eingesetzt.
    Es war wohl wirklich so. Über dem Schloss lag ein verderblicher Hauch, dem man sich als normaler Sterblicher nicht verschließen konnte und der einen unentwegt bedrohte.
    Die Luft um ihn wurde immer stickiger und unerträglicher. Er hatte das Gefühl, jeden Moment ersticken zu müssen. Zamorras Atem ging keuchend wie bei einem schwachen Greis. Die Hitze schien von den steinernen Wänden abgestrahlt zu werden. Zamorra hatte das Gefühl, als würden die Wände sich langsam zusammenschieben und ihn erdrücken wollen. Seine Schritte wurden schneller. Er glaubte, vor diesem Grauen fliehen zu können.
    Die Treppe begann plötzlich unter ihm zu tanzen und zu beben.
    Sie wand sich hin und her wie eine Schlange. Sie bockte wie ein Pferd, das den unliebsamen Reiter abwerfen will. Zamorra wollte sich an der Wand abstützen, sich festhalten, abwarten, bis die grässliche Erscheinung vorüberging, doch er griff ins Leere. Er meinte, ins Nichts stürzen zu müssen. Krampfhaft bemühte er sich, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Die Taschenlampe entfiel seiner Hand. Unter einem Klirren, das in seinen Ohren klang wie die Explosion einer Bombe, prallte sie auf den Boden und rollte die Stufen hinunter. Dabei tanzte ihr Lichtschein über die Wände des steilen Ganges, bis die Lampe erlosch. Ein letztes Klirren, und dann herrschte Stille.
    Zamorra stolperte weiter, als könne er damit sein Leben retten.
    Wenn er sich im Spiegel gesehen hätte, er hätte sich nicht wiedererkannt. Speichel lief ihm aus dem Mundwinkel. Seine Haut war von unzähligen Falten gefurcht. Seine Augenbrauen waren weiß geworden, und sein Gang war der eines alten Mannes unter der Last seiner Jahre. Seine Wangen waren eingefallen und der Blick seiner Augen hatte sein Feuer und seine Ausstrahlung verloren.
    Ein Greis stolperte die Treppe hinunter, der mit dem Professor nur noch den Namen gemein

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