004 - Das Wachsfigurenkabinett
aus. Die Figur strahlte immer stärker und schmolz dann langsam zu einem formlosen Klumpen zusammen. Der erste Teil der Beschwörung hatte geklappt, den zweiten Teil wollte sie um Mitternacht durchführen.
Das Saville war ein altes Theater. Es war kein besonders großes, aber dafür ein sehr ehrwürdiges Haus, das von der glorreichen Vergangenheit jedoch kaum mehr leben konnte. Es hatte sich deshalb dem Trend angepaßt. Fast ausschließlich moderne Stücke und Musicals, die den größten Erfolg hatten, wurden gespielt.
Dorian hatte beschlossen, nicht mit Coco ins Theater zu gehen.
Zwei Agenten begleiteten sie, das mußte reichen. Einer hatte einen Platz im Parterre, der andere einen im ersten Rang. Coco saß in einer Loge des Balkons. Sie war eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung gekommen und hatte sofort Ihren Platz eingenommen. Mit ihrem Opernglas beobachtete sie genau die ankommenden Besucher, doch ihr fiel nichts Verdächtiges auf. Das Theater füllte sich langsam. Von ihrem Platz aus konnte sie auch die beiden Agenten sehen.
Die ehemalige Hexe trug ein hübsches Abendkleid, zu dem ihre große Handtasche sehr schlecht paßte. Irgendwo aber mußte sie schließlich die fünfundzwanzig Zentimeter lange Spezialpistole und ein kleines Funkgerät unterbringen, mit dem sie mit den beiden Agenten in Verbindung treten konnte. Dabei versprach sie sich eigentlich nicht allzu viel von diesem Abend. Es konnte auch Zufall gewesen sein, daß Phillip gerade diese Anzeige nicht bekleckst hatte. Und selbst wenn nicht, so wußte sie immer noch nicht, worauf sie wartete.
Das Stück interessierte sie herzlich wenig. Musical war nicht der richtige Ausdruck dafür, Pop-Oper auch nicht. Es war eines jener modernen Gesangsstücke, eine Anklage der Jugend gegen die Alten; ein Stück, das möglichst progressiv wirken sollte, es aber nicht war; ein Stück mit ein paar recht netten Liedern, von denen eines sogar ein Hit geworden war. Die Darsteller und auch der Autor waren so damit beschäftigt, den Spießbürgern einen Spiegel vors häßliche Gesicht zu halten, daß sie gar keine Zeit fanden zu bemerken, daß sie selbst sich von ihren Feindbildern nur noch in Nuancen unterschieden. Einige von ihnen waren im Jaguar vor das Theater gefahren, und der Autor hatte sich mit seinen kritischen Stücken bereits ein Landhaus und einen Rolls Royce zusammengeschrieben.
Plötzlich zuckte Coco zusammen. Ein Dämon hatte den Zuschauerraum betreten. Sie spürte die Ausstrahlung. Gerade ging die Deckenbeleuchtung langsam aus, und der Vorhang hob sich. Nur ein dünner Lichtstrahl zuckte über die Bühne; der Zuschauerraum war dunkel. Die ehemalige Hexe beugte sich vor und starrte durch das Opernglas. Leise Musik erklang, die allmählich lauter wurde. Coco konzentrierte sich. Sie wollte die Richtung bestimmen, aus der die Ausstrahlung kam. Die Musik störte sie ein wenig, doch schließlich gelang es ihr, den Ausgangspunkt festzulegen. Der Dämon mußte sich im zweiten Rang befinden. Von ihrem Platz aus war er jedoch nicht zu erkennen. Die Loge öffnete sich, und ein Paar und ein junger Mann traten ein. Der junge Mann setzte sich neben Coco und warf ihr einen Blick zu. Unauffällig rückte er näher; offenbar fand er an ihr mehr Gefallen als an dem Stück. Coco war nicht gerade glücklich darüber.
Der Dämon mußte sich schräg unter ihr befinden. Sie beugte sich weiter vor, preßte das Glas an ihre Augen und versuchte Einzelheiten zu erkennen, doch es war zu dunkel. Die Gesichter waren nur weiße Flecken. Der Mann neben ihr ließ wie zufällig seine Hand auf ihren Schenkel fallen, doch Coco schob sie sofort zur Seite. Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte sie. Muß ich ausgerechnet so einen zudringlichen Kerl als Nachbarn bekommen?
Sie überlegte, was sie unternehmen sollte, um den Dämon zu erkennen. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als die Loge zu verlassen und im zweiten Rang nach ihm zu suchen. Sie wartete noch zehn Minuten, dann stand sie auf und ging hinaus. Am Ausgang traf sie auf einen uniformierten Wächter, der ihr neugierig nachstarrte. Ein schmaler Gang führte rund um den Zuschauersaal. Sie kam zu den Toiletten und erreichte die Stufen, die in den zweiten Rang führten. Die Treppe war leer. Je höher sie stieg, desto stärker wurde die Ausstrahlung des Dämons. Er mußte sich in der sechsten Loge befinden, daran gab es keinen Zweifel mehr.
Rasch ging sie zurück, verschwand in der Toilette und holte ihr Sprechgerät
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