004 - Das Wachsfigurenkabinett
leer. Kein Mensch war zu sehen, kein Auto fuhr vorbei. Er hatte auch die anderen Häuser in der schmalen Straße beobachtet; alle Fenster waren dunkel.
Shorter überquerte die Straße und blieb vor der Tür des Wachsfigurenkabinetts stehen. Er sah sich nochmals um und nahm sich dann das Türschloß vor. Es dauerte eine halbe Minute, bis er es geknackt hatte. Vorsichtig stieß er die Tür auf und huschte in den Vorraum. Er zog die Tür hinter sich zu, blieb stehen, holte seine Stablampe heraus und schirmte den Lichtstrahl mit der Hand ab. Die Kasse war leer. Völlige Ruhe herrschte; nur seine Schritte hallten in der Stille. Die Tür zum Kabinett war nur angelehnt. Er stieß sie auf, ließ den Strahl der Lampe durch die Gänge huschen und ging dann an den Figuren vorbei. Gelegentlich blieb er stehen und betrachtete die eine oder andere Gestalt genauer. In Schein der Lampe wirkten sie alle recht eindrucksvoll.
Bald erreichte er die nächste versperrte Tür. Sekundenlang überlegte er, ob er sie öffnen oder das Wachsfigurenkabinett wieder verlassen sollte, und entschied sich gegen einen Rückzieher. Diesmal bereitete ihm das Schloß allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Er brauchte mehr als fünf Minuten, bis die Tür endlich aufsprang.
Im gleichen Moment hörte er ein Geräusch hinter sich. Blitzschnell drehte er sich um. Nichts war zu sehen, und auch das Geräusch war verstummt, doch er wußte, daß er sich nicht getäuscht hatte. Shorter blieb regungslos stehen, schaltete die Taschenlampe aus und lauschte mit angehaltenem Atem. Nach wenigen Sekunden erklang das Geräusch erneut. Er knipste die Lampe wieder an – und stieß einen überraschten Schrei aus.
Der Vampir, der über den Mann gebeugt gestanden hatte, war zum Leben erwacht. Er schlich den Gang entlang, und seine roten Augen funkelten wie Rubine. Über seinen Schultern trug er ein schwarzes Cape, das seine hohe Gestalt völlig einhüllte. Er ging langsam; es sah so aus, als müsse er erst Gewalt über seine Glieder bekommen. Shorter zog seine Spezialwaffe und wartete, bis der Vampir noch fünf Schritte entfernt war, dann zog er den Abzug durch. Der dicke Holzbolzen bohrte sich in die Brust des Monstrums. Er hatte gut getroffen, dennoch ging der Vampir unbeirrt weiter.
Shorter ging rückwärts durch die Tür, die er soeben mühsam aufgesperrt hatte. Der Vampir bewegte sich jetzt schneller, und seine Augen leuchteten stärker. Shorter wich weiter zurück und blickte sich gehetzt um. Die Wachsfiguren in diesem Raum waren wesentlich besser ausgeführt. Sie sahen fast wie erstarrte Menschen aus; wie Figuren, von denen man erwartete, daß sie jeden Moment zum Leben erwachten.
Der Vampir riß das Maul noch weiter auf, gab aber keinen Laut von sich. Shorter lud die Waffe nach und schoß einen weiteren Bolzen ab, der wieder gut traf, aber ebensowenig Wirkung erzielte. Der Vampir war auf diese Art nicht zu töten. Shorter blieb nur die Flucht. Er steckte die Waffe ein und rannte los. Der Raum, in dem er sich befand, war riesig. Der Lichtstrahl huschte über Dutzende von Wachsfiguren, die unglaublich perfekt aussahen. Der Vampir war noch immer hinter ihm. Der Agent besaß keine Möglichkeit, ihm auszuweichen; er befand sich in einem schnurgeraden Gang, der auf die rote Stirnwand zuführte. Shorters Herz hämmerte wild. Es war eine gespenstische Verfolgungsjagd. Nur das Keuchen des Agenten war zu hören, der Vampir gab keinen Laut von sich. Endlich erreichte Shorter das Ende des Ganges und bog nach links ab, doch nirgends war eine Tür zu sehen. Der Blutsauger packte ihn an den Hüften und riß ihn um. Die Taschenlampe entfiel Shorters Hand und kullerte über den Boden. Der Vampir kniete über ihm und drückte seinen Oberkörper hinunter. Shorter schlug auf das Monster ein, doch es reagierte überhaupt nicht auf seine Hiebe. Statt dessen biß es nach seinen Fingern und riß sie blutig.
Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte gelang es Shorter schließlich, sich aufzubäumen und den Blutsauger zur Seite zu schleudern.
Keuchend sprang er auf, griff nach der Taschenlampe und rannte weiter. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als einen der langen Gänge zurückzulaufen, die zur Eingangstür führten. Hinter sich hörte er die Schritte des Monsters. Sein Puls hämmerte, und seine Lungen drohten zu zerplatzen. Kurz bevor er die Tür erreichte, kam er an zwei Figuren vorüber, deren Anblick ihn erstarren ließ. Es dauerte eine Sekunde, ehe Shorter reagierte. Sein
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