004 - Geister im Moor
zwinkerte. »Soso, Sie machen also Kahnpartien mit Ihrer kleinen Freundin … Wahrscheinlich haben Sie sich etwas übernommen und irgendeinen Muskelkrampf gehabt.«
Am gleichen Abend erzählte ich Peter Gilcross von meinem seltsamen Anfall. Er nickte bedächtig.
»Wir hätten Sie warnen sollen, dann wären Sie weniger beunruhigt gewesen«, sagte er. »Sie sind ganz schlicht das Opfer eines Mordanschlags durch Hexerei geworden – was beweist, das sie jetzt wissen, dass Sie einer der Unsrigen sind. Wären Sie nicht mit dem besonderen Schutz versehen, den Pamela Ihnen gegeben hat, wären Sie daran gestorben – und zwar auf eine Weise, die keine Spuren hinterlässt. Das, was Sie erlebt haben, habe ich auch schon mitgemacht. Ich frage mich, wo diese mysteriösen Racheboten sind und wann sie wirklich in Aktion treten. Und ich frage mich auch, ob das magische Abwehrnetz, das Pamela dauernd aufbaut, genügen wird.«
Einige Tage später – es war der 22. Juni – lief ich am Nachmittag oben auf dem Heideland herum, als mich eine Überraschung, ja sogar ein Schock erwartete. Hinter einem Felsen entdeckte ich plötzlich eine Frau, die lässig, halb hingestreckt, auf dem dürftigen Gras saß. Es war Mary Ramdul. Sie hielt einen Fotoapparat in der Hand und betrachtete die Ruinen. Am Abend zuvor hatte ich gerade noch eine ganze Weile an sie gedacht, und mein Verlangen nach ihr war wieder auf das heftigste erwacht. Sie trug ein rotes Kleid und erschien mir noch schöner als an dem Tag, als ich sie kennen lernte.
»Du – hier?« sagte ich erstaunt.
Sie hielt mir ihre Hand hin. »Ich habe dir ja gesagt, das wir uns noch Wiedersehen«, sagte sie mit ihrer etwas heiseren Stimme. »Du siehst so erstaunt aus. Hier oben ist es sehr schön, und der Ausblick ist sogar im Fremdenführer vermerkt.«
»Bist du den ganzen Weg hierher gelaufen?«
»Aber nein. Ein Taxi hat mich bis zum Fischerhafen gebracht. Von da aus bin ich zu Fuß gegangen. Ich habe übrigens sehr viel an dich gedacht.« Sie stand auf, legte beide Arme um meinen Hals und gab mir einen Kuss, der mein Blut in Brand setzte. Dann nahm sie meine Hand. »Komm«, sagte sie leise..
»Im Wald hinter den Ruinen habe ich eine Schäferhütte gesehen.«
Ich folgte ihr. Und wieder erlebte ich – trotz aller Vorwürfe und guten Vorsätze, sie nie wieder zu sehen – eine Stunde höchster Leidenschaft mit ihr.
Ach, diese schrecklichen Widersprüche in mir! Aber die Scham brannte ebenso sehr wie vorher die Leidenschaft, als ich nach Guilclan zurückkehrte.
Am 27. Juni, als ich gerade zu hoffen begann, die sieben Schicksalswochen würden ohne weitere Dramen verlaufen, geschah etwas Entsetzliches. Ich befand mich morgens in meinem Zimmer im Hotel, als ich draußen auf dem Platz Lärm hörte und eilig hinunterlief.
Und nun sah ich etwas ganz Unglaubliches. In der Mitte der offenen Halle drehte sich ein Mann ununterbrochen um sich selbst und stieß dazu kleine, spitze Klageschreie aus. Ich kannte ihn, es war Jeremiah Fross, ein großer Blonder, ein Freund von Gilcross – also ein Salforth. Etwa fünfzehn Menschen bildeten einen Kreis um ihn und starrten ihn mit schreckgeweiteten Augen an.
Der unglückliche Fross drehte sich immer schneller im Kreis. Da keiner der Umstehenden ihm offenbar helfen wollte, stürzte ich vor, wurde jedoch wie von einer unsichtbaren Hand brutal zurück gestoßen. Ich blieb genauso entsetzt stehen, wie die anderen. Fross, wahrscheinlich in dem Bemühen, sich von diesem unerträglichen Zwang zu befreien, zog seine Jacke aus, dann sein Hemd, und ich erkannte auf seiner Brust das kleine Emblem der, Salforth. Plötzlich hörte man das Pfeifen einer Peitsche, die mit aller Kraft geschwungen wurde, obgleich keine zu sehen war. Unwillkürlich duckte ich mich. Als ich den Kopf wieder hob, sah ich einen breiten roten Striemen auf dem Rücken und auf der Brust von Fross. Die umstehenden Frauen flüchteten schreiend. Jetzt folgte ein unsichtbarer Peitschenhieb dem anderen, immer mehr Striemen zeigten sich, und Blut floss. Noch mehrmals versuchte ich vergeblich, dem Unglücklichen zu Hilfe zu kommen. Ich sah Gilcross, der es ebenso vergeblich versuchte wie ich. Wir stießen jedes Mal gegen eine unsichtbare Mauer.
Schließlich brach Fross zusammen. Sein Körper war nur noch eine einzige blutende Wunde. Im gleichen Augenblick kam Dr. Arnold herbeigelaufen. Er beugte sich einen Augenblick über das Opfer dieses unglaublichen Anschlags, aber Fross war nicht
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