004 - Geister im Moor
glauben, was ich gesehen und gehört hatte, aber ich mochte andrerseits auch nicht an Bettys geistiger Gesundheit zweifeln. Jedenfalls hinderte mich die Tatsache, das sie an diese finsteren Mysterien glaubte, nicht daran, sie zu lieben – sie sogar nur noch mehr zu lieben. Plötzlich fiel mir die Unbekannte vom Strand ein, mit ihrer Sinnlichkeit und ihrem schweren Parfüm. Sie flösste mir Entsetzen ein.
Die Umrisse von Guilclan hoben sich vor mir wie eine Drohung vom Nachthimmel ab, und mir wurde plötzlich unbehaglich zumute. Unwillkürlich drehte ich mich um und vergewisserte mich, das niemand hinter mir herschlich. Meine Kehle war wie zugeschnürt.
Und dann, als ich kurz vor Guilclan um eine Wegbiegung kam, zuckte ich entsetzt zurück. Vom höchsten Ast eines dürren Baumes hing eine menschliche Gestalt herab und schwankte leise hin und her. Die Silhouette war so klar, dass ich sie mühelos erkennen konnte.
Es war eine der beiden blinden hinkenden Frauen – die große, hagere, die Camelia hieß. Sie glich einem riesigen schwarzen Vogel, der in der Luft schwebte. Ich fing an zu laufen, als sei der Teufel hinter mir her.
Während der folgenden vierzehn Tage passierte nichts. Nichts Dramatisches zumindest. Der Tod der großen hageren Hinkenden blieb ungeklärt. Der Polizist Igglins gab sich auch nicht sehr viel Mühe. Was den Mann betraf, den man mit einem Messer in der Brust vor dem Hotel gefunden hatte, so konnte Igglins sich mit dem Fall gar nicht beschäftigen, weil die Leiche verschwunden war, als er endlich am Schauplatz erschien. Wahrscheinlich hatten seine Leute ihn fortgeschafft. Es war ein Schuhmacher namens Jeff Onslaught gewesen. Niemand erhob übrigens Anzeige.
»Diese Leute ziehen es vor, ihre Angelegenheiten unter sich zu regeln«, erklärte mir Arnold. »Das Beste ist, man mischt sich da nicht ein.«
Peter Gilcross sah ich täglich, und jede zweite Nacht arbeiteten wir in dem unterirdischen Gewölbe. Die Arbeit erwies sich rasch als schwieriger, als wir vermutet hatten, da ich auf einen riesigen Mauerblock gestoßen war, der die gesamte Passage blockierte. Und wir besaßen nicht die geeigneten Werkzeuge, um schneller vorwärts zu kommen. In manchen Nächten meinte ich wieder in der Ferne dumpfe Schläge zu vernehmen, aber ich war nie ganz sicher, ob ich es Ich lernte Bettys Vater kennen, ein gut aussehender Mann um die Fünfzig, energisch, intelligent, sehr gebildet und mit jenem besonderen Charme, den seine Tochter wohl von ihm geerbt hatte. Ich schien ihm zu gefallen, und Betty war darüber sehr glücklich.
Da Betty sich Sorgen machte, mich im Dunkeln allein vom Schloss nach Guilclan zurückgehen zu lassen, hatte sie mir einen unterirdischen Gang gezeigt, der von Roaldmor direkt zum Hause von Peter Gilcross führte. Ausgerüstet mit Taschenlampen, benutzte ich seitdem stets diesen Gang, wenn ich nach einem Besuch das Schloss verließ, und ich ging jetzt oft dorthin. Ich hatte inzwischen Peters Bruder Loys näher kennen gelernt, einen sehr liebenswürdigen und sehr gelehrten Mann, der vom Hausherrn wie ein Mitglied der Familie behandelt wurde. Auch Loys machte sich große Sorgen. Betty hatte mich in der Zwischenzeit alle Schriften lesen lassen, die sich auf die Vergangenheit von Guilclan bezogen. Nach der Hinrichtung von Moro Ludmar hatte offenbar eine ganze Anzahl der Seinen die Gegend verlassen, aber nach etwa dreißig Jahren begannen sie wieder zurückzuströmen. Während langer Perioden hatte hier durchaus Frieden geherrscht. Die beiden Gruppen begnügten sich damit, einander zu ignorieren. Und ab und zu gab es sogar gemeinsame Berührungs- oder Treffpunkte, wie jetzt zum Beispiel das Hotel »Zum Schwarzen Kreis«. Aber niemals vergaß man die Prophezeiung.
Wann immer ich darauf zu sprechen kam, vertrat Sir David die Meinung, dass die damaligen Ereignisse normale Verbrechen gewesen waren, lediglich aufgebauscht durch Aberglauben und Hexerei. Den Rest hätte dann die Massenhysterie besorgt.
Meine häufige Abwesenheit, vor allem beim Abendessen, fiel im Hotel natürlich auf. »Wo, zum Teufel, rennen Sie nur immer hin?« fragte der Doktor, und ich sah wohl, das er ein wenig gekränkt war, das ich ihn so schnöde verließ, Er hatte sich an unser Plauderstündchen nach dem Essen gewöhnt, und hinzu kam, das seine sonstigen Trinkgefährten kaum noch erschienen. Abends gingen die Leute von Guilclan nicht mehr aus dem Haus, und selbst am Tag ließen sich nur wenige auf den Strassen
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