004 - Kerry kauft London
zurückfallen. »Es ist hart für dich, daß ich nicht heirate«, fuhr sie fort. »Dir fällt doch die ganze Erbschaft zu, wenn ich es während der Probezeit tue!«
»Mir liegt nichts daran, daß du heiratest«, knurrte er. Sie lächelte hinter der Hand, mit der sie die Zigarette an die Lippen hielt.
»Armer Junge!« höhnte sie; dann fuhr sie ernster fort: »Man erzählt sich augenblicklich unangenehme Dinge von dir.«
Er sah sie kalt an. »Was für Dinge, und wer erzählt sie?« »Oh, Zeitungsleute und dergleichen, mit denen man so zusammenkommt. Man bringt dich irgendwie in Verbindung mit …«
Sie brach ab und blickte ihn an; er hielt ihren Blick ruhig aus, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Nun?«
»Mit einem grausigen Mord in Southwark.«
»Quatsch!« lachte er. »Man könnte ebensogut den Erzbischof von Canterbury verdächtigen; es ist zu blödsinnig.«
»Ich weiß nichts davon«, erwiderte sie; »ich habe manchmal wirklich Angst vor dir. Du würdest um Geld und Macht alles begehen.«
»Was zum Beispiel?«
»Oh, einen Mord und dergleichen«, sagte sie mit unsicherer Stimme. »Wir haben ein gut Teil Tschechenblut in unseren Adern, Hermann. Du bringst mich manchmal so in Wut, daß ich dich glatt umbringen könnte.«
Er grinste ein wenig unbehaglich; dann erwiderte er: »Halte deine Tür ge schlossen«, und preßte seine Lippen fest zusammen.
»Das tue ich auch«, war ihre schlagfertige Antwort, »und ich habe immer einen Revolver unter meinem Kopfkissen.«
Er murmelte etwas von kindischem Benehmen und fuhr dann in der Lektüre der Abendzeitung fort.
»Weißt du, Hermann«, begann Vera nachdenklich, »es würde furchtbar viel für dich ausmachen, wenn ich plötzlich an Ptomainvergiftung oder an irgendeiner anderen scheußlichen Krankheit stürbe - oder wenn ich nachtwandelte und aus dem Fenster stürzte.«
»Red nicht solch gemeines Zeug!« fuhr er sie an.
»Es würde dich um sieben Millionen Dollar reicher machen - würde alle deine Verluste wieder ausgleichen und dich in eine Lage versetzen, in der du diesen netten grauen Herrn, King Kerry - weiter bekämpfen könntest!«
Er stand von seinem Stuhl auf; ein Lächeln geisterte über sein Gesicht.
»Wenn du solchen Unsinn schwatzen willst, gehe ich«, sagte er. »Du solltest tatsächlich heiraten, denn du fängst an, eine böse Sieben zu werden.«
Sie lachte gezwungen.
»Warum angelst du dir nicht einen von deinen zahmen Studenten?« höhnte er. »Heirate ihn - das kannst du ja in einem Monat - und mach ihn glücklich; du könntest ihm mit einiger Mühe eine gute Aussprache beibringen.«
Sie hatte zu lachen aufgehört und musterte ihn, wie er mit der Tür in der Hand dastand. »Du hast eine witzige Ader, Hermann. Der arme Vater hat das nie so gut erkannt wie ich. Weißt du, in deinen Vorfahren mütterlicherseits ist ein gemeiner Charakterzug!«
»Laß die Verwandtschaft meiner Mutter in Ruhe!« schrie er sie in ausbrechendem Zorn an.
»Gott weiß, daß ich das tue«, sagte sie fromm. »Wenn mehrere Sheriffs und verschiedene Schwurgerichte der Vereinigten Staaten sie auch in Ruhe gelassen hätten, wären viele von ihnen eines natürlichen Todes gestorben.«
Krachend schlug die Tür hinter ihm zu, noch ehe sie ihren Satz beendet hatte.
Das höhnische Lachen verschwand sofort aus ihrem Gesicht. Sie warf den Zigarettenstummel weg und ging durch das Zimmer zu einem kleinen Schreibtisch zwischen den beiden großen Fenstern.
Eine Zeitlang saß sie mit der Feder in der Hand und einem Bogen Papier vor sich da, ohne zu einem Entschluß zu kommen. Wenn sie schrieb, wurde sie an ihrem Halbbruder zum Verräter - und doch, sie war ihm keine Treue schuldig. Hinter ihrer ständig zur Schau getragenen Verachtung verbarg sich eine immer wache Furcht, die sich oft bis zum Entsetzen steigerte. Nicht bloß einmal, nein, oft hatte sie in dem letzten Jahr einen Blick aufgefangen, einen Blick, so kalt und prüfend und mit einem so schrecklichen Gesichtsausdruck, daß ihr Herzschlag vor Entsetzen zu stocken drohte. Sie dachte an die hinterlistigen Versuche, die er gemacht hatte, um sie zu verheiraten, an die Männer, die er auf sie gehetzt hatte, an die geradezu kompromittierenden Situationen, in die er sie mit allen möglichen Männern der Stadt, vom Studenten bis zum Mann im mittleren Alter, gebracht hatte.
Wenn sie heiratete, wäre sie, soweit die Erbschaft in Frage kam, tot. Wenn sie am 30. dieses Monats nicht verheiratet war - ob sie dann noch lebte?
In
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