004 - Kerry kauft London
hasse ihn … wie die Hölle.«
Sie schaute zu ihm hinüber und begegnete dabei seinem Blick.
Hatte die Feindschaft einen geschäftlichen Hintergrund? So deutlich, als hätte sie die unausgesprochene Frage in Worte gekleidet, las er sie von ihrem Gesicht ab und schüttelte den Kopf.
»Ich hasse ihn« - er zögerte -, »weil er übel gehandelt hat - an einer Frau.«
Es schien, als sei eine eiskalte Hand über ihr Herz gefahren, und ein paar Sekunden konnte sie kaum atmen. Sie fühlte, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich, und das Zimmer erschien ihr dunkel und verschwommen.
Sie senkte den Kopf und blätterte gedankenlos in den Briefen auf dem Schreibtisch.
»Wirklich?« fragte sie höflich. »Das war … das war abscheulich von ihm.«
Das Telefon läutete. King Kerry nahm den Hörer ab, wechselte ein paar Worte und bemerkte dann: »Ich werde gleich wieder zurück sein. Herr Grant will mich sprechen.«
Sie nickte. Gleich darauf fiel die Tür ins Schloß. Ihr Kopf sank auf ihre Arme, und sie brach in leidenschaftliches Weinen aus.
Else Marion war verliebt.
Kapitel 11
»Wohin gehst du heute abend, Vera?« fragte Hermann Zeberlieff das am Fenster stehende Mädchen ein bißchen schroff.
Das Mädchen blickte über die Parkstraße hinweg in den Park. Eine brennende Zigarette hing zwischen ihren Lippen; ihre sanften Augen schauten weit, weit in unbewußte Fernen. Sie wandte sich langsam zu ihrem Halbbruder um und zog die feinen Augenbrauen hoch, als er die Frage wiederholte.
Sie hatte ein einfaches schwarzes Samtkleid an, das dieses schlanke, schöne Mädchen vortrefflich kleidete. Die zarte Blässe des Gesichts kontrastierte auffallend mit den vollen, roten Lippen.
»Wohin ich heute abend gehe?« gab sie nachdenklich zurück. »Das ist wirklich eine merkwürdige Frage, Hermann - du kümmerst dich doch sonst nicht um mein Kommen und Gehen.«
»Ich erwarte heute abend ein paar Herren zu Besuch«, warf er hin, »du kennst einige von ihnen - der eine ist Leete.«
Sie runzelte die Stirn.
»Ein höchst widerlicher Mensch«, bemerkte sie. »Wirklich, Hermann, deine Freunde sind die wunderbarste Raritätensammlung, die ich je gesehen habe.«
Er warf ihr einen finsteren Blick zu. In mancher Beziehung fürchtete er dieses Mädchen mit der klangvollen, südländischen, ein wenig schleppenden Stimme. Sie hatte eine besondere Art, den Panzer seiner Gleichgültigkeit zu durchbohren, indem sie ihn an seiner verwundbaren Stelle, der Selbstachtung, anfaßte. Sie waren niemals Freunde gewesen; nur der Vorsorge des Vaters war es zu danken, daß sie so lange zusammengelebt hatten. Der alte Friedrich Zeberlieff hatte sein Vermögen in zwei Teile geteilt. Die erste Hälfte der Erbschaft sollte seinem Sohn, dem Kind seiner verstorbenen Frau, und dem Mädchen, dessen Mutter die Geburt nur um wenige Stunden überlebt hatte, zu gleichen Teilen zufallen. Die zweite Hälfte sollte ebenfalls gleichmäßig unter den beiden geteilt werden, »vorausgesetzt, daß sie fünf Jahre nach meinem Tode zusammenbleiben, ohne sich während dieser Zeit zu verheiraten. Denn«, so lautete der Schlußsatz des Testaments, »es ist mein Wunsch, daß sie sich besser kennenlernen und daß die Abneigung, die zwischen ihnen bestanden hat, dadurch beseitigt werde.« Es waren noch andere Bestimmungen da.
Das Mädchen dachte an das Testament, während sie zum Kamin ging und die Asche der Zigarette an dem Marmorsims abklopfte.
»Unser gemeinsamer Haushalt endet bestimmungsgemäß nächsten Monat«, bemerkte sie, und er nickte.
»Ich werde froh sein, wenn ich das Geld endlich bekomme«, gestand er, »und nicht besonders traurig …«
»… mich zum letztenmal gesehen zu haben«, beendete sie den Satz. »In dem Punkt wenigstens stimmen wir überein.«
Er antwortete nicht; kam er doch immer bei solchen Zusammenstößen am schlechtesten weg. Sie paffte, in stilles Nachdenken versunken, weiter.
»Ich gehe zur Preisverteilung in das Technikum«, unterbrach sie das Schweigen und wartete auf seine unausbleibliche spöttische Bemerkung.
»In das Southward-Institut?« Sie nickte.
»Du wirst allmählich eine Nummer in Wohltätigkeitskreisen«, sagte er mit leichtem Spott. »Es sollte mich nicht wundern, wenn ich eines Tages höre, daß du ins Kloster gegangen bist.«
»Ich kenne jemand, der sich darüber wundern würde!« unterbrach sie ihn.
»Wer ist denn das?« fragte er rasch. »Ich!« kam es kalt von ihren Lippen. Er ließ sich brummig in seinen Stuhl
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