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004 - Kerry kauft London

004 - Kerry kauft London

Titel: 004 - Kerry kauft London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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Hermanns Familie waren, soviel sie wußte, Fälle von Wahnsinn vorgekommen. Seine Mutter war in einer Irrenanstalt gestorben. An zwei ihrer Blutsverwandten war die Todesstrafe vollstreckt worden, und ein Vetter hatte San Franzisko durch einen besonders grausigen Mord in Schrecken versetzt.
    Sie hatte Grund anzunehmen, daß Hermann selbst in New York in eine besonders unangenehme Sache verwickelt gewesen war und das Opfer und seine Verwandten nur gegen Zahlung einer ungeheuren Summe, die in die Hunderttausende ging, von einer Anzeige abgesehen hatten. Dann war da die Sache mit Sadie Mars, der liebreizenden Tochter eines Bostoner Bankiers. Hier hätte kein Geld Stillschweigen erkaufen können - aber Familienstolz und die Stellung der Eltern des unglücklichen Mädchens retteten Hermann. Er ging ins Ausland, und das junge Mädchen nahm sich das Leben. Wohin er kam, gab es Unglück; was immer er berührte, machte er faul und schlecht. Das alles kam ihr in den Sinn, und dann fing sie an, rasch zu schreiben, und bedeckte einen Bogen nach dem anderen mit ihrer schönen Schrift.
    Endlich hörte sie auf, steckte den Brief in einen Umschlag und adressierte ihn. Plötzlich vernahm sie Hermanns Schritte im Flur und verbarg den Brief hastig in ihrem Kleidausschnitt.
    Er blickte beim Eintreten zum Schreibtisch hinüber.
    »Du schreibst?« fragte er.
    »Ein paar Kleinigkeiten, wie die Höflichkeit es verlangt.«
    »Soll ich sie für dich zur Post mitnehmen?« fragte er in seinem freundlichsten Ton.
    »Nein, danke. Sie können wie gewöhnlich zur Post gegeben werden - Martin kann das tun.«
    »Martin ist weg«, bemerkte er.
    Sie schritt schnell zur Klingel und drückte auf den Knopf. Hermann sah sie seltsam an.
    »Es hat gar keine Zweck zu klingeln«, sagte er, »ich habe Martin und Dennis weggeschickt.«
    Sie unterdrückte die Angst, die in ihr aufstieg. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen; ihr Gefühl sagte ihr, daß ihr eine tödliche Gefahr von diesem Menschen mit den tückisch funkelnden Augen drohte.
    »Gib mir den Brief!« sagte er plötzlich.
    »Welchen Brief?«
    »Den du in den letzten zehn Minuten so hastig geschrieben hast.«
    Ihre Lippen kräuselten sich verächtlich.
    »Aber, Hermann! Das Schlüsselloch?! Nein, sicherlich nicht! Das Schlüsselloch, durch das die Dienstboten hinter die Geheimnisse ihrer Herrschaft kommen!«
    »Gib mir den Brief!« wiederholte er grob.
    Sie war zur Seite getreten und langsam rückwärts gegangen, bis sie neben einem der großen Flügelfenster stand. Es war angelehnt, denn der Abend war sehr drückend gewesen. Plötzlich drehte sie sich um, stieß die Glastür auf und trat auf den kleinen Balkon hinaus.
    Er wurde vor Wut aschfahl und machte zwei rasche Schritte auf sie zu. Dann blieb er stehen. Vera sprach mit jemand.
    »Oh, das tut mir leid, Herr Bray… Haben Sie schon lange geläutet?«
    Er hörte jemand undeutlich antworten.
    »Mein Bruder wird Sie einlassen; ich bin Ihnen so dankbar, daß Sie mich abholen kommen.«
    Sie wandte sich Hermann zu. »Möchtest du wohl so freundlich sein, einem meiner zahmen Studenten die Tür zu öffnen? Du wirst finden, daß er eine sehr gute Aussprache hat«, sagte sie in ihrem liebenswürdigsten Ton.
    »Verflucht!« knirschte er, kam ihrer Bitte aber doch nach.

Kapitel 12
    »Du unterhältst wohl Herrn Bray, während ich mich zum Ausgehen fertig mache, Hermann?«
    Er bekundete sein Einverständnis durch ein mürrisches Brummen. Am liebsten hätte er ja glatt abgelehnt und seiner üblen Laune die Zügel schießen lassen, und wäre es nur gewesen, um seine Schwester zu quälen; aber er hatte sich doch genügend in der Gewalt, um dieses natür liche Verlangen zu unterdrücken.
    Er blickte den jungen Mann, mit dem er jetzt allein war, finster an und gab auf die höflichen Bemerkungen Gordon Brays nur einsilbige Antworten.
    Weder die Kleidung noch die Sprache des Studenten ließen darauf schließen, daß er einer ganz anderen Klasse angehörte als der Mann, der ihn so hochmütig ausfragte.
    »Sie gehören wohl auch zu den Leuten, an die meine Schwester Preise verteilt?« fragte Hermann ungezogen.
    »Das stimmt nicht ganz«, entgegnete Bray beherrscht. »Fräulein Zeberlieff ist so gütig, die goldene Medaille für Zeichnen zu stiften, aber die eigentliche Verteilung nimmt die Gräfin Daribery vor.«
    »Es hat wenig zu sagen, wer das tut, solange Sie die Medaille bekommen«, antwortete Hermann, indem er seine ganze Lebensphilosophie in einen prägnanten Satz

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