0043 - Der Vampir von Manhattan
Das ist ja toll, daß in diesem Haus vor zweihundert Jahren einmal ein richtiger Hexer gewohnt haben soll. Ganz geheuer war uns das Bild in der Wandtäfelung allerdings nicht. Oft wollte ich es entfernen lassen. Aber, so merkwürdig es klingt, ich fürchtete mich davor. Der Raum, in dem es sich befindet, wird auch kaum benutzt.«
Das Geplappere ging Frank Harper auf die Nerven. Daisy Munro lachte schrill, sie führte den jungen Mann in einen kleinen Salon mit einem sehr großen Kamin, der zu einem Wandschrank umgebaut worden war. Der Salon war erst später abgeteilt worden, früher hatte es hier einen Saal gegeben.
Für große Gesellschaften und Bankette. Im Lauf von fast zweihundert Jahren war in dem Haus manches baulich verändert worden.
Ein großer, schlanker Mann mit angegrautem Haar und Klubjacke stand bei dem umgebauten Kamin und stützte sich mit dem Ellbogen auf den noch vorhandenen Sims. Er hielt einen Drink in der Hand und versuchte, spöttisch und überlegen zu wirken.
Aber es gelang ihm nicht ganz.
Rechts vom Kamin war ein Bild in die Eichenholztäfelung eingelassen. Es zeigte einen hohlwangigen Mann von düsterem Aussehen. Es handelte sich um ein Brustporträt, Kleidung und Frisur des Dargestellten entsprachen der Mode des späten 18. Jahrhunderts.
Die Farben waren nachgedunkelt, dennoch schien das Porträt zu leben. Besonders die Augen waren es, die den Betrachter faszinierten. Sie fixierten ihn, wo immer er auch stand. Tiefliegende Augen mit einem düsteren Glanz.
Der Mann mit dem angegrauten Haar, der Hausherr, sagte nichts, als Frank Harper auf das Bild zutrat.
»Das ist er«, flüsterte Frank wie im Selbstgespräch. »Montague Harper, der Hexer von Salem, an den sich nicht einmal Cotton Mather heranwagte. 1648 flüchtete Harper von Schottland, als ihm der Boden zu heiß wurde, in die Neue Welt, wo er auf die vampirische Hexe Asenath traf, seine Gefährtin des Grauens. 1793 gebannt und mit Asenath lebendig begraben.«
»Was reden Sie da?« fragte der Wohnungsinhaber. »Das hört sich aber keineswegs amüsant an. Ich bin Wallace D. Munro, Rechtsanwalt. Sie haben meiner Frau am Telefon allerhand erzählt, junger Mann, aber ich glaube nicht im Ernst…«
»Schweigen Sie!« sagte Frank Harper und vollführte eine schroffe Handbewegung. »Das Bild ist da. Jetzt will ich sehen, ob es auch das Geheimfach gibt.«
Er trat an die Täfelung heran und zählte und maß ab. Den Anwalt und seine Frau schien er vergessen zu haben. Sie musterten sich hinter seinem Rücken, und Wallace D. Munro zuckte die Schultern.
Frank zog sein Taschenmesser und klappte es auf. Er fuhr mit der großen Klinge in die verstaubte Ritze, die er ausfindig gemacht hatte, und suchte einen Widerstand, jenen kleinen Vorsprung, der den Hebelmechanismus auslösen sollte.
Da war er! Es klickte leise, und dann sprang ein viereckiges Türchen in der Täfelung auf. Eine Platte, die sich in nichts von den anderen unterschied. Frank Harper steckte das Messer weg und faßte eilig in die staubige Öffnung.
Er fand zwei Dinge in dem kleinen Geheimfach, nahm beide heraus und legte sie auf den Tisch. Der Rechtsanwalt und seine Frau beobachteten ihn mit wachsender Spannung. Frank Harper griff noch einmal in das Wandfach, er bückte sich und blies den Staub weg, der wie eine kleine Wolke herausstob.
Aber da war nichts mehr. Wallace D. und Daisy Munro waren an den Tisch getreten und betrachteten die beiden Gegenstände. Eine kleine Flasche mit einem Glasstöpsel und ohne Aufschrift. Und ein Buch, das in ein seltsames, pergamentartiges Leder eingebunden war.
»Esq. Montague Harper, Master of the Black Art«, stand in steiler Handschrift mit verblaßter Tinte auf dem vergilbten Etikett. »Esquire Montague Harper, Meister der Schwarzen Kunst.«
»Da haben Sie ja doch etwas Interessantes gefunden«, sagte der Rechtsanwalt Munro und berührte den Einband des Buches. »Ein merkwürdiges Leder. Möchte wissen, was das ist.«
»Gegerbte Menschenhaut«, sagte Frank Harper und öffnete das Buch. Er durchblätterte es flüchtig. Die vergilbten Blätter waren mit handschriftlichen Aufzeichnungen bedeckt. »Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen, Mister und Mrs. Munro. Leben Sie wohl.«
Er steckte die Flasche ein, klemmte das Buch unter den Arm und wandte sich zum Gehen.
»He, Augenblick mal«, protestierte der Anwalt. »Sie haben diese Dinge in unserer Wohnung gefunden. Wenn sie überhaupt jemandem gehören, dann uns. Wir haben ein Recht darauf zu
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