0043 - Der Vampir von Manhattan
Blauröcke.«
Auf der 23. Straße schoben sich Tankwagen mit Wasserwerfern vor. Der Inhalt dieser Tankwagen war sicher »mit Geschmack«, wie der Zusatz von Tränengas in der Polizeiumgangssprache hieß.
Die blauuniformierten New Yorker Polizisten waren übel dran. Sie waren verunsichert, sie wußten selber nicht, was eigentlich geschah, und Unruhen bahnten sich an. Keine beneidenswerte Situation. In einer knappen Stunde, kurz nach 17 Uhr, würde die Sonne versinken.
Dann begann die Zeit der Vampire.
Aus den Fenstern der Hochhäuser und Wolkenkratzer in der Umgebung schauten unzählige Menschen auf den Platz des verschwundenen Wolkenkratzers. Wir drängten uns zum Zentrum des Geschehens durch. Es war nicht leicht, es war sogar Schwerstarbeit.
Suko hatte die Spitze übernommen. Wie ein Panzerwagen bahnte er sich seinen Weg. Ich hielt mich knapp hinter ihm, den Einsatzkoffer hatte ich unterm Arm. Und Laurie Ball, die unbedingt dabeisein mußte, schubste mich von hinten.
Beschimpfungen hagelten auf uns nieder. Manchmal gab es auch einen Ellbogenstoß oder Rempler. Oder ein besonders heimtückischer Typ trat einem eins ans Schienbein.
»Sorry, Ladies, sorry, Gentlemen«, sagte Suko immer wieder. »Wir müssen durch, bitte lassen Sie uns durch!«
»Unverschämtheit!«
»Wir können auch nicht weiter vor!«
»Was bildest du gelber Schweinehund dir eigentlich ein?«
So oder ähnlich lauteten die Kommentare. Manche Zuschauer waren auf die Dächer haltender Wagen gestiegen, um besser sehen zu können. Auf der linken Straßenseite, von uns aus gesehen, zerbarst eine Schaufensterscheibe unter dem Druck der Menschenmengen. Es klirrte, Schmerzensschreie gellten.
Auf der Kreuzung und auch im Hintergrund flackerten Rotlichter und gellten Sirenen. Nicht mal die Ambulanz konnte in schnellem Tempo durch. Die sensationslustige Menge gaffte und schwatzte. Die Vermutungen, weshalb der Wolkenkratzer verschwunden war, umfaßten eine breite Skala.
Sie reichten von der Erprobung einer neuen Erfindung über das Wirken von Marsmenschen bis zu den unvermeidlichen Kommunisten, die sich wieder mal was ausgedacht haben sollten. Nur die Wahrheit, Schwarze Magie nämlich, vermutete anscheinend niemand.
Ein bärtiger Typ in meiner Nähe schrie: »Die Welt geht unter! Jetzt ist es soweit, ihr werdet alle mit euren Sünden zur Hölle fahren!«
Die Umstehenden lachten ihn aus. Jetzt gerieten wir ausgerechnet an eine Gruppe Chaoten, die einen Sprechchor gebildet hatten.
»Bullen fort! Bullen fort! Bullen fort!«
Wir bewegten uns am Rand der kompakten Gruppe, die aus Weißen und Farbigen bestand. Ein dürres Girl mit viel zu weitem Parka fauchte Suko an.
»Du hast mich angefaßt, Schlitzauge!«
»Sie sollte mal was anderes lesen als den Hite-Report, Miß«, empfahl ihr der Chinese. »Bei dem Getümmel hier kreisen bei mir keine Hormone!«
Ihr Begleiter, ein breitschultriger Mulatte mit einem immensen Afrolook-Krauskopf, wollte Suko die Faust ins Gesicht schlagen. Doch Suko fing den Schlag ab und verdrehte ihm den Arm, daß er in die Knie ging.
Da wollte die ganze Meute über uns herfallen. Ich zog kurzerhand die Beretta und schoß zweimal in die Luft. Das hielt die Krawallmacher auf Abstand. Polizeipfeifen trillerten, ein Kordon von Polizisten mit Panzerwesten, Helmen mit Gesichtsschutz, Kunststoffschilden und Schlagstöcken rückten durch die Menge zu uns hin vor.
Sie sahen aus wie Wesen aus einer anderen Welt. Die Chaoten verkrümelten sich in der Menge.
»Wer hat geschossen?« fragte der Anführer des Polizeitrupps. »Ist jemand verletzt worden?«
Ich meldete mich.
»Ich habe die Schüsse abgegeben. Mein Name ist John Sinclair, ich bin im Sonderauftrag hier. Da ist mein Ausweis. Ich muß dringend zu Captain Don Hamilton.«
Die Augen hinter dem Plexiglasvisier begutachteten die Legitimation.
»Der Captain hält sich bei der fahrbaren Einsatzzentrale auf. Weiß der Teufel, was hier los ist. In New York brodelt es immer mal, doch daß ein ganzer Wolkenkratzer einfach verschwindet, das haben wir noch nicht erlebt.«
Wenige Minuten später stand ich Captain Hamilton neben dem Polizeibus gegenüber, der die Einsatzzentrale enthielt. Der bullige Captain mit dem kantigen Schädel kaute auf einem kalten Zigarrenstummel herum.
»Sie suche ich schon wie eine Stecknadel, Mann! Haben Sie denn die Radiodurchsage nicht gehört, die ich Ihretwegen durchgeben ließ? Das Gedrängel hätten Sie sich sparen können. Wenn Sie sich im
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