0045 - Der Höllensumpf
englisch, das so schwer zu verstehen war. »Ich werde dir zuerst sagen, wer und was Soro ist.«
Die Flammen züngelten wieder freier, nicht mehr so sehr in den Kubus gebunden, wie es die letzten Sekunden lang den Anschein gehabt hatte.
Das Dröhnen der Trommeln klang lauter, und Professor Zamorra musste sich weit zu dem Medizinmann hinüberbeugen.
»Soro…«, flüsterte Katulpek. »Er ist eine Legende. Er lebt als Toter weiter. Er war der höchste Künstler. Er hat sich selbst ins Leben zurückgemalt.«
Professor Zamorra verstand kein einziges Wort. Hatte der Medizinmann zuviel von dem berauschenden Getränk zu sich genommen, das reihum gereicht wurde?
Doch Katulpek fuhr schon fort. »Du wirst bei den Ogas keine Bilder sehen, Zamorra. Unsere Götter verbieten es, Bilder von Menschen oder sonst irgendwelchen Lebewesen zu machen. Ich weiß ein wenig von eurer Welt. Von der Welt der Weißen.« Diese Worte klangen bitter aus dem Mund des Medizinmannes. »Unsere Götter sind nicht die euren. Du weißt vielleicht, dass die Seminolas einst ein stolzes Volk waren und sich die Ogas nannten.«
Katulpeks Blick glitt ins Leere und verharrte dort, als würden dort Bilder vor seinem geistigen Auge auferstehen. Bilder, die ihm das Grauen lehrten, wie seinem Gesichtsausdruck zu entnehmen war.
»Die Ogas sind untergegangen. Die Seminolas sind nur ein kärglicher, schmutziger Rest eines einstmals stolzen Volkes.«
Professor Zamorra hörte ohne zu unterbrechen zu, weil Katulpek offensichtlich dabei war, eine Volkslegende preiszugeben, die Licht in das Dunkel der Geschichte bringen konnte.
Katulpeks graue Augen fixierten irgendwo einen Punkt im Universum, dort, wo die Sternbilder sich zu Nebeln verwoben.
»Soro ist eine Gestalt dieses Volkes«, kam es fast lautlos. Im ständigen Trommelwirbel war kaum ein Wort zu verstehen. Professor Zamorra beugte sich zur Seite und hielt sein Ohr knapp vor den zahnlosen Mund des Alten.
»Soro hat sich aufgelehnt. Er wollte mit den alten Ordnungen brechen. Bei euch würde man ihn einen Künstler nennen, aber unserem Volk hat er nichts als Unglück gebracht. Großes, nicht wieder gut zu machendes Unglück.«
Erneut pausierte Katulpek. Er kreuzte seine Beine anders herum, als ob seine Stellung damit auch nur einen Deut bequemer werden würde.
»Die Götter haben es uns verboten, Bildnisse zu machen. Soro durchbrach dieses Gebot. Er war ein Zauberer. Er konnte mit wenigen Strichen einen Menschen abbilden und hatte ihn damit in seinen Bann gezogen. Soro hatte die größten Jagderfolge, weil er vorher die Tiere zeichnete, die er erlegen wollte. Soro war der beste Jäger dieses Kontinents. Aber er hat verbotene Mittel angewandt, um diese Meisterschaft zu erlangen. Und er lud den Groll der Götter als auch den Neid seiner Stammesgenossen auf sich. Soro wurde im Sumpf ertränkt.«
»Ging es dem Volk nachher besser?«, fragte Zamorra unwillkürlich.
Katulpek schüttelte sein greises Haupt. »Es war schon zu spät. Der Fluch, den Soros Tätigkeit bei den Göttern ausgelöst hatte, fiel nach seinem gewaltsamen Tod auf das ganze Volk zurück. Niemand von uns vermochte sich dagegen zu wehren. Und jetzt lebt Soro wieder. Er wird sich am ganzen Volk rächen.«
Professor Zamorra war kein Altertumskundler und kein Völkerforscher. Er war Parapsychologe. Deshalb machte er sich einen eigenen Reim auf die konfuse Darstellung des Medizinmannes, die – soweit sie geschichtliche Hintergründe wiedergab – durchaus an der Wahrheit streifen mochte. Doch Professor Zamorra dachte weiter.
Die Seminolas waren in der Tat zu einem relativ primitiven Volk geworden, doch ganz gewiss war das nicht deshalb passiert, weil die Götter oder sonst irgendwelche höhere Wesen ihnen die Gunst entzogen hätten. Zamorra hielt sich lieber an realere Hintergründe und hielt es mit der Schlussfolgerung, dass die Kultur der Ogas gegenüber der der spanischen Eroberer versagt hatte und man diesen Umstand mit einer frommen Legende zu vernebeln gedachte.
Soro konnte durchaus eine geschichtliche Figur gewesen sein, genauso wie es als erwiesen gilt, dass der Zauberer Merlin durchaus einmal gelebt hatte. Und zwar als Druide der heidnischen Urbevölkerung Englands zu Zeiten, als die Römer ihren Machtbereich über ganz Gallien und auch hinüber auf die englische Insel ausdehnten.
Vermutlich war auch Soro so ein Fabelwesen, das sich mit seiner fremden Kunst den Dämonen verschrieben hatte, von Männern seines Volkes deshalb bestraft
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