0049 - Der blaue Tod
ihn ein.
Über zwei Stunden später wurde immer noch nach den Gangstern gefahndet. Ein Schiff oder Boot konnte innerhalb der Fünf-Meilen-Zone leicht geortet werden – nicht aber drei vereinzelte Punkte, die sich zudem noch unterhalb der Wasserlinie bewegten.
Als die drei Gangster zum wiederholten Male auftauchten, hatten sie jede Orientierung verloren. Mauvais spähte nach allen Seiten aus. Hinter seiner Maske verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen. Er zog das Mundstück zwischen den Zähnen hervor und sagte:
»Ich seh’ was. Eine Festung mitten im Meer.«
Bienmât schöpfte frische Luft, dann entgegnete er japsend:
»Wahnsinn. So was gibt’s nicht, Boss.«
Grivois meinte: »Verrückt sind wir noch nicht, Henri. Das da ist eine Wasserburg, und wir sind höchstens noch anderthalb bis zwei Meilen davon entfernt. Schwimmen wir hin?«
***
Professor Zamorra schlug die Augen auf. Sekundenlang war sein Gesicht verzerrt. Er versuchte verzweifelt, die Zusammenhänge zu begreifen. Dann setzte die Erinnerung ein und seine Züge entspannten sich. Besorgt fuhr er mit der Hand über Nicole Duvals weiche Schulter. »Meine Güte, Mädchen – du bist ja verletzt. Was ist geschehen?«
Sie sagte es ihm. Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass sie nackt war und ihre Gesichtsfarbe wurde eine Nuance dunkler. »Ich… ich ziehe mir jetzt etwas über, Chef.«
Er stand auf und lächelte versonnen. »Mir gegenüber brauchst du wirklich keine Scham zu zeigen. Nicht in einer solchen Lage. Gib mir bitte das Amulett. Ich bringe dich zu deinem Zimmer und möchte auf jeden Fall verhindern, dass du noch einmal angegriffen wirst.«
Unvermittelt beugte sie sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Darauf drehte sie sich um, lief zur Tür und schritt zaudernd in den Flur hinaus.
Zamorra folgte ihr. »Ich habe das Gespenst nicht gesehen. Aber ich bin überzeugt, dass es alle nötigen Vorkehrungen getroffen hat, damit niemand außer uns etwas von dem Ereignis mitbekommt. Niemand hat etwas gehört, sämtliche Gäste schlafen seelenruhig. Geh, Nicole, es wird niemand aus seinem Zimmer kommen und dich begierig angucken.«
Sie musste lachen. Jetzt benahm sie sich wieder ganz ungezwungen. Während sie sich in ihren Raum begaben, hakte sie ihn ein und sagte: »In deiner Tür steckte ein blauer Pfeil, Chef.«
»Er ist mitsamt jeglichen Spuren verschwunden.«
»Wollen wir wetten, dass auch mein Bett wieder unversehrt ist?«
Sie hatte Recht. Sogar die Fenster in ihrem Zimmer waren wieder heil. Zamorra verarztete die Schnittwunden, die ihr die Scherben zugefügt hatten.
»Die sind echt«, meinte sie. »Sonst könnte man beinahe glauben, ich leide unter Halluzinationen. So ist das mit übersinnlichen Erscheinungen, und deshalb habe ich mich früher auch geweigert, ihre Existenz als wahr anzunehmen.«
»Ich bin froh, dass du über das Stadium hinaus bist, Nicole.«
»Was wollte der Geist auf dem Pferd? Uns beide töten?«
»Warte ab. Gehen wir der Reihe nach vor. Wollen wir in mein Zimmer zurückkehren? Ich würde gern die Wand noch einmal untersuchen. Ich habe eine Art Menetekel, eine orakelhafte Inschrift gesehen, bevor ich ohnmächtig wurde.«
Nicole kleidete sich in seiner Gegenwart an, diesmal mit engen Jeans und einem T-Shirt. Sie untersuchten ihr Zimmer nach Spuren des Gespenstes, entdeckten erwartungsgemäß aber keine. In Zamorras Raum kamen sie zu dem gleichen Ergebnis.
Zamorra füllte zwei Gläser mit Cognac, und dieses Mal lehnte Nicole nicht ab. Beide tranken sie. Dann setzten sie sich und rekapitulierten noch einmal das Erlebte. Nicole hatte einen Schreibblock und einen Stift mitgebracht und notierte die geheimnisvolle Inschrift.
»Sie ist mir vollständig im Gedächtnis haften geblieben«, erklärte Zamorra. »EFLIH – UELB TROM – ULB ETROM – NEMRABRE.«
»Großbuchstaben?«
»Nur.«
»Ich halte sie nicht in Steno, sondern in Normalschrift fest.«
»Ausgezeichnet. Weiter: DRON – 24 – 45 – TSEW – 8 – 0 – 4 – 0. Das ist alles. Bitte lass mich nachlesen.« Zamorra nahm den Block entgegen, überflog die Eintragung und schlug sich plötzlich vor die Stirn. »Ich Narr. Das ist ja beinahe zu simpel, um wahr zu sein. Wir brauchen die Lettern nur in umgekehrter Reihenfolge zu lesen, und schon ergibt sich: HILFE – MORT BLEU – MORTE BLU – ERBARMEN, dann NORD – 24 – 45 – WEST – 8 und so weiter.«
»Mort bleu«, wiederholte Nicole. »Das ist Französisch und heißt ›blauer
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