0049 - Der blaue Tod
Tod‹. Ist damit das Gespenst gemeint? Mein Gott, ich habe Angst, Chef. Wir werden von einem mordenden Scheusal verfolgt. Aber warum nur, warum?«
»Moment, immer schön der Reihe nach. Die Inschrift wiederholt den Hinweis auf italienisch, also ›Morte blu‹. Alle übrigen Eintragungen erfolgen wieder auf englisch. Ich setze voraus, dass das Gespenst der Autor des Menetekels ist. Es hat sich drei verschiedener Sprachen bedient, weil es nicht sicher war, ob ich es verstehe. Es braucht Hilfe, Nicole.«
»Rührend. Und was bedeutet der Rest des Orakels?«
»Eine Positionsangabe.«
»Na fein.« Nicoles Augen versprühten zornige Funken. »Du kannst sagen, was du willst, Chef, ich glaube, das Gespenst will uns in eine Falle locken, um uns den Rest zu geben.« Sie holte tief Luft.
»Es war doch zu offensichtlich, auf welch brutale Weise es mich ins Jenseits befördern wollte.«
»Allerdings.« Zamorra grübelte herum, nagte an der Unterlippe.
»Ich halte es für wahrscheinlich, dass das Gespenst mich rufen, aber dich nicht dabeihaben will, Nicole. Warum, ist mir ein großes Rätsel.«
»Seit wann hat denn wohl ein so schauriges Monstrum Unterstützung nötig?«, erkundigte sich die Französin. »Es will mir nicht in den Kopf, worauf du hinaus willst, Chef.«
»Das ist mir selbst noch nicht ganz klar. Aber denk daran: In der Welt der Finsternis, der Gespenster, Dämonen und sämtlicher anderen Gräuelwesen kann es zu Auseinandersetzungen kommen, bei denen Schwächere unterliegen und auf die schrecklichste Art versto- ßen werden. Es kann aber auch Angriffe von außen geben, denen Geister nicht gewachsen sind.«
Nicole seufzte. »Aber… aber da ist es doch geradezu widersinnig, wenn das Gespenst sich ausgerechnet an dich wendet. An den Gegner! An den ewigen Feind des Bösen, der es mit allen Mitteln zu vernichten sucht. Das grenzt an Selbstmord.«
»Nun, so könnte man es nennen. Allem Anschein nach ist das Gespenst sehr verzweifelt und will sich lieber mit mir als anderen Mächten verbünden.«
Nicole lachte auf. »Jetzt fehlt bloß noch, dass du behauptest, es sei ein guter Geist. Entschuldige, Chef, aber so, wie er aussieht, kann es unmöglich ein braver Bursche sein.« Nicole wandte den Blick zum Fenster. Schlagartig wurde sie bleich. »Da… da ist er wieder!«
Zamorra eilte zum Fenster und entdeckte das Gespenst ebenfalls – auf dem Dach des Dogenpalastes. Das Pferd tänzelte auf der Stelle, und sein blauschimmernder Reiter schoss einen Pfeil hoch in die Luft ab. Er stieg auf, beschrieb eine Wende und senkte sich flirrend wie ein Feuerwerkskörper auf das Hotel PANADA herab. Zamorra blieb am Fenster stehen. Nicole wollte ihn zu rückzerren, doch er ließ sich nicht beirren.
Der Pfeil raste auf ihn zu, zerplatzte jedoch unmittelbar vor der Fensterscheibe. »Da hast du es, Nicole. Das Gespenst will mich nicht töten. Im Moment wagt es sich aber auch nicht herüber. Laufen wir nach unten.«
Nicole nahm eine Jacke aus ihrem Zimmer mit, dann stiegen sie in den Fahrkorb des Lifts und ließen sich nach unten gleiten. Der Nachtportier schenkte ihnen kaum Aufmerksamkeit. Er guckte an ihnen vorüber, konnte das blaue Gespenst jedoch nicht sehen.
Professor Zamorra und Nicole Duval erkannten die Erscheinung indes sehr deutlich. Zamorra nahm Nicole bei der Hand und zog sie mit sich. Als sie den Markusplatz halb überquert hatten, hob das Gespenst vom Dach des Palastes ab und entfernte sich wieder ein Stück durch die Luft.
Sie mussten ein Boot nehmen, um es weiterverfolgen zu können.
Zamorra wandte sich an eine Vermietung, die um diese Stunde noch geöffnet hatte – vorwiegend für verliebte Pärchen. Er wählte keine Gondel, sondern ein weniger romantisches, dafür jedoch zweckmäßigeres Motorboot.
Tuckernd dümpelte das Boot in den nächsten Kanal hinaus. Wenig später lenkte Professor Zamorra es auf offenes Wasser hinaus. Er steuerte die Reede an, denn das Gespenst wandte sich in jene Richtung. Ungefähr hundert Meter hoch schwebte es und hielt sich ständig vor ihnen. Zamorra bezweifelte keinen Augenblick, dass es ihn führen wollte. Die Distanz zwischen ihnen verringerte sich jedoch nicht.
»Das Amulett hat ihm einen schönen Schrecken eingejagt«, sagte Nicole. »Ich fange langsam wieder an, Mut zu schöpfen.«
Das Gespenst drehte sich, und sein Pferd bäumte sich hoch auf und schlug mit den Vorderläufen. Ein blauer Pfeil sirrte durch die Luft zu ihnen herab und tauchte zischend neben dem Boot
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