005 - Im Reich des Todes
stocken.
Nur wer mit Volldampf eine heiße Geschichte durchzuziehen verstand, lockte heute noch Leute ins Kino. Das Publikum war übersättigt. Wenn es nichts Besonderes geboten bekam, blieb es lieber zu Hause vor der Mattscheibe sitzen.
Kamera eins und Kamera zwei liefen.
Die teuren Panavisions-Apparate bannten die Hetzjagd auf Zelluloid. Kamera eins stand auf der Klippe. Sie arbeitete mit Zoom, solange sich Prym und Carmichael unten auf dem Strand befanden. Je näher ihr die Schauspieler kamen, desto mehr fuhr sie aus dem Tele-Bereich ab und erfaßte Buster Prym und Bill Carmichael im Normalbereich, während Kamera zwei auf Zoom ging, um Details auf der Klippe einzufangen.
Prym und Carmichael waren alte Filmhasen.
Routiniers. Gewissenhafte Profis.
Christopher Clark, der Regisseur, verließ sich auf sie. Sie wichen um keinen Deut von dem ab, was im Drehbuch stand. Deshalb war es für Clark ein Vergnügen, mit diesen disziplinierten Schauspielern zu arbeiten.
Zumeist genügte eine kurze Szenenbesprechung, einige wenige Proben, und schon konnte gedreht werden.
Bis vor wenigen Sekunden war der Regisseur mit den gebotenen Leistungen der beiden Schauspieler auch sehr zufrieden gewesen, doch plötzlich schienen sie zu improvisieren.
Im Buch stand, Carmichael solle eisig fragen: »Bist du bereit?«
Das hatte er getan.
Buster Prym sollte darauf krächzend antworten. »Ja.«
Auch okay.
Und auch noch der Satz: »Dann ab mit dir in die Hölle!« war richtig.
Aber was Carmichael und Prym weiter boten, stand nicht mehr im Drehbuch. Bill Carmichael hätte den Revolver nicht auf den
»Spitzel« richten dürfen, denn ein herannahendes Polizeiboot sollte ihn in der nächsten Sequenz unter Beschuß nehmen.
Doch Bill Carmichael zielte mit seinem Ballermann auf Buster Prym, und dieser brüllte wie am Spieß, während Carmichael aussah, als würde er seinen Kollegen tatsächlich auf den Tod hassen.
Christopher Clark sprang auf. Er trug ein weißes Baumwollhemd, war korpulent, und sein Gesäß sprengte beinahe die zu enge Jeans. »Stop!« schrie er und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. »Aus!«
Die Kameras hörten zu surren auf.
Doch Buster Prym schrie weiter vor Entsetzen. »Nein, Bill! Bist du verrückt? Tu’s nicht!«
»Verdammt noch mal, was hat denn das zu bedeuten?« brüllte der Regisseur. »Wollt ihr nicht endlich mit eurer Privatvorstellung aufhören?«
Lee Gordon, das hübsche blonde Skriptgirl, schüttelte verwundert den Kopf. »Ich kann Buster nicht verstehen. Wovor hat er denn soviel Angst? Bills Waffe ist ja gar nicht geladen.«
Im selben Moment krachte es. Der gesamte Filmstab zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Eine Feuerlohe leckte aus der Revolvermündung, direkt auf Buster Prym zu. Der Schauspieler wurde von einem harten Schlag getroffen. Er konnte nicht auf den Beinen bleiben. Die Kugel stieß ihn zurück und warf ihn zu Boden.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht drehte sich Prym auf den Rücken. Verzweifelt starrte er Bill Carmichael an. »Warum?« fragte er röchelnd. »Warum hast du das getan, Bill?«
»Er hat es mir befohlen!« knurrte Carmichael und drückte eiskalt noch einmal ab.
Pryms Blick brach. Er lag still.
Und die Mitglieder des Filmteams spürten, wie ihnen das Grauen die Gänsehaut über den Rücken trieb.
***
Carmichael mußte den Verstand verloren haben. Unter den Männern und Frauen des Aufnahmestabes breiteten sich Ratlosigkeit und Entsetzen aus. Sie alle waren von einer bleiernen Lähmung befallen. Vor ihren Augen war ein kaltblütiger Mord verübt worden. Ein Mord, den das Drehbuch nicht vorgesehen hatte.
Bill Carmichael stand auf der Klippe, der Wind zerzauste sein schwarzes Haar. Keine Reue war in seinem Gesicht. Nein, seine Augen leuchteten im Triumph. Er schien Genugtuung zu empfinden. Und es hatte nicht den Anschein, als würde er es bei diesem einen Mord bewenden lassen. Er sah so aus, als hätte er vor, weitere Menschen umzubringen.
Hatten die vielen Killerrollen, die er schon gespielt hatte, seinen Geist verwirrt?
Bela Lugosi hatte sich einst auch so sehr in die Rolle des Dracula hineingelebt, daß er zuletzt meinte, tatsächlich ein Vampir zu sein.
War so etwas Ähnliches auch mit Bill Carmichael passiert?
Es mußte etwas geschehen. Die Situation wurde unerträglich.
Auf der Klippe lag ein Toter. Sein Mörder stand mit hohntriefender Miene daneben. Man mußte Bill Carmichael entschärfen, mußte ihm die Kanone wegnehmen. Aber wer sollte
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