005 - Tagebuch des Grauens
Kräfte, die ihn vor mir behüten, die sich gegen mich verbündet haben.
Das ist doch Unsinn. So etwas gibt es nicht, aber trotzdem scheint es mir die einzig mögliche Erklärung.
Michel wird von unsichtbaren Mächten beschützt. Ja, so ist es.
Ich bin machtlos ihm gegenüber. Zumindest heute Nacht.
Werde ich wiederkommen? Ich weiß es noch nicht. Im Augenblick kann ich daran nicht denken.
Vor mir ist der Gang. Alles ist dunkel. Ich muss die Treppe erreichen und so schnell wie möglich ins Erdgeschoß hinuntergehen. Ich muss fliehen.
Wenn es mir nicht gelingt, schnellstens das Haus zu verlassen, werde ich dem Grauen, das hier regiert, nie mehr entrinnen.
Angstvoll blicke ich über die Schulter zurück, dorthin, wo ich zuvor den schrecklichen Mund gesehen habe.
Er ist wieder da!
Die Zähne schimmern in der Finsternis. Sie sind fürchterlich anzusehen.
Und jetzt spricht der Mund. Ich sehe genau, wie er sich bewegt, aber ich verstehe nicht, was er sagt.
Ich will ihn nicht mehr sehen. Eilig strebe ich der Treppe zu. Hinter mir ertönt ein teuflisches Lachen. Der Mund lacht. Mir tun die Ohren weh. Der furchtbare Laut sticht durch mein Hirn.
Die Treppe. Wo ist sie denn? Ich finde sie nicht!
Was ist mit mir los? Meine Gedanken verwirren sich. Ich blicke zurück. Der Mund ist da. Grausam und höhnisch lacht er mich an.
Ich habe die Treppe erreicht und taumle die Stufen hinunter. Kaum weiß ich noch, was ich tue, wo ich bin.
Ich öffne die Türen und schließe sie wieder. Dunkel umgibt mich, immer nur Dunkel, und das grauenhafte Lachen will nicht mehr aufhören. Es verfolgt mich und treibt mich zum Haus hinaus.
Dann ist es plötzlich still. Totenstill.
Draußen heult der Wind heftiger denn je. Doch es ist ein vertrautes Geräusch. Es schreckt mich nicht.
Wo bin ich? Halb betäubt bin ich durch die Dunkelheit getaumelt, bin an Möbel geprallt, habe Lärm gemacht. Mein Bein tut weh. Ich habe mich an irgendetwas gestoßen.
Schnell, schnell nur heraus aus diesem Haus! Wenn das Lachen noch einmal ertönt, werde ich tot Umfallen.
Endlich eine Tür. Ich reiße sie auf.
Gerettet! Die Kälte packt mich an der Kehle, aber sie tut mir wohl. Der Sturm treibt mir die Tränen in die Augen, aber das stört mich nicht. Ich bin gerettet.
Die Tür ist mit einem lauten Knall hinter mir zugefallen.
Ich bin im Freien. Mir scheint, als habe ich mich stundenlang im Haus des Grauens aufgehalten. Ich bin völlig erschöpft, an Leib und Seele gebrochen.
Ich beginne zu laufen. Wie ein Wahnsinniger stürme ich davon.
Nach einer Weile bleibe ich stehen. Mühsam ringe ich nach Atem. Mein Herz schlägt in schweren Stößen.
Keuchend wende ich mich um. Ich betrachte das Haus, das ich soeben verlassen habe. Schwebt vor der Haustür etwas in der Luft, das sich unter meinem Blick auflöst und in Nichts zergeht? Ich bin mir nicht sicher.
Nein, ich will nicht mehr daran denken. Ich habe in dieser Nacht schon genug mitgemacht.
Noch einmal sehe ich das Haus an. Jetzt ist nichts Auffälliges mehr daran zu bemerken. Vielleicht habe ich mir das Ding vor der Haustür auch nur eingebildet.
Jedes Mal denke ich das hinterher. Wenn die Erscheinung sichtbar ist, zweifle ich nicht an ihr. Doch schon eine Minute später scheint es mir, dass meine Sinne mich getrogen haben.
Ich muss schnell nach Hause zurückkehren. Suzanne ruft vielleicht schon nach mir. Sie ist vielleicht entsetzt, dass sie plötzlich allein ist.
Wieviel Zeit mag verstrichen sein, seit ich sie verlassen habe? Wenn ich mich auf mein Empfinden verlasse, müssen inzwischen Stunden verstrichen sein.
Aber es ist immer noch tiefe Nacht. Im Osten zeigt sich kein Lichtstreifen am Horizont. Der Tag ist noch fern.
Diese Nacht scheint mir endlos. Ich sehne mich nach Helligkeit. Das Licht vertreibt die Schatten und schenkt neuen Mut.
Ich sehe mein Haus vor mir. Je weiter ich mich ihm nähere, desto ruhiger werde ich.
Mein Hirn ist wie leer gebrannt. Meine Beine sind wie Blei, aber ich gehe trotzdem rasch.
Endlich habe ich die Haustür erreicht. Angenehme Wärme schlägt mir entgegen. Die vertraute Atmosphäre erwartet mich. Ich schließe erleichtert die Augen. Es ist eine Wohltat, wieder zu Hause zu sein.
Ich wende mich gerade der Küche zu, als ein furchtbarer Schrei ertönt.
Ich erbleiche. Mir ist klar, wer geschrieen hat. Suzanne hat wieder ihre Zustände.
Dann wieder Stille. Unwillkürlich erwarte ich den nächsten Schrei. Ich fürchte mich schon davor.
Soll ich
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