005 - Tagebuch des Grauens
nach mir schnappen. Die spitzen Zähne funkelten bedrohlich. Plötzlich scheint mir beides ganz nahe zu sein, scheint vor mir in der Küche zu schweben.
Der Eindruck ist so stark, dass ich herumfahre. Ich habe die Empfindung, dass der schaurige Mund hinter meinem Rücken darauf lauert, im nächsten Augenblick zuzubeißen.
Nichts ist zu sehen. Ich habe es mir nur eingebildet.
Und drüben im Haus von Michel, habe ich den Mund dort wirklich gesehen? Ich weiß es nicht. Es ist durchaus möglich, dass ich mir alles nur eingebildet habe. Vielleicht war es nur eine Halluzination, weiter nichts.
Aber wenn die Erscheinung wirklich da war, könnte sie sich dann hier wiederholen? Konnte sie mir gefolgt sein, um mir auch hier Furcht einzujagen?
Unsinn. Alles war nur Einbildung. Ich will mich nicht von meiner Phantasie ins Bockshorn jagen lassen.
Rasch wende ich mich um. Nichts ist hinter mir. Ich werfe einen Blick auf die Wand. Sie sieht aus wie immer.
Aber der Mund könnte irgendwo anders im Haus seine spitzen Zähne fletschen. Vielleicht lauert er schon an anderer Stelle auf mich.
Ängstlich drehe ich mich um. Nein, nichts.
Dennoch habe ich das Gefühl, dass irgendwo der Mund lauert und lacht, voller Hohn über meine Ohnmacht.
Aber wo?
Ich stehe auf. Ich muss es wissen. Eine Ader pulsiert an meiner Schläfe.
Ich blicke mich im Raum um. Ich schaue in alle Ecken. Dabei halte ich den Atem an. Ich muss wissen, ob der teuflische Mund im Haus ist. Wenn ich mir nicht Gewissheit verschaffe, verliere ich noch den Verstand.
Doch die Erscheinung ist nirgends zu sehen. Nichts, was mich erschrecken könnte. Kein Grund zur Besorgnis.
Aber höre ich nicht hinter mir ein leises Kichern? Ich drehe mich blitzschnell um.
Nein, nichts ist zu sehen. Dennoch weiß ich, dass er da ist, der furchtbare Mund, irgendwo dort, wo ich ihn nicht erblicken kann.
Ich könnte vor Entsetzen laut aufschreien, meine Angst, meine Verzweiflung laut herausschreien, doch ich bin nicht imstande dazu. Das Grauen hält mein Herz wie mit eisigen Fingern umklammert.
Ich weiß, dass die Erscheinung im Haus ist. Ich muss sie finden. Ganz deutlich höre ich die Zähne knirschen, ich höre das grässliche Knirschen dieses teuflischen Gebisses.
Was soll ich tun?
Wird es mir ergehen wie Suzanne? Werde auch ich schreckliche Dinge sehen, die gar nicht vorhanden sind? Werde auch ich immer wieder vom Grauen geschüttelt aus dem Schlaf hochfahren und keine Ruhe mehr kennen?
Wird mich der Wahnsinn erfassen? Vielleicht bin ich es schon – wahnsinnig. Es fehlt nicht viel, und ich breche in schallendes Gelächter aus.
In Gelächter?
Vorsicht! Ich muss mich zusammennehmen. Ich darf mich nicht gehen lassen. Am besten ist es, ich schließe die Augen. Ich muss wieder ruhig werden, ganz ruhig. Nur nicht die Nerven verlieren, das ist das wichtigste.
Ja, aber wenn ich die Augen schließe und der Mund ist plötzlich da, weiß ich gar nicht, dass ich in Gefahr bin. Dann könnten sich die spitzen Zähne in meine Kehle graben oder in meine Augen, ohne dass ich der Gefahr rechtzeitig entfliehen würde.
Ich muss mich wehren. Mit allen Kräften muss ich dem Entsetzlichen Widerstand leisten.
Vor allem muss ich aufhören, zu grübeln. Wenn ich nicht die Nerven verliere und mir nicht unnötige Sorgen mache, kann mir nichts passieren. Vor allem darf ich nicht mehr an die Erscheinung denken. Am besten ist es, an überhaupt nichts zu denken.
Ich habe nie geglaubt, dass es so schwierig ist, an nichts zu denken. Obwohl ich mir die größte Mühe gebe, mein Hirn völlig leer zu halten, stellen sich alle möglichen Gedanken und Vorstellungen ein und ergreifen von mir Besitz. Es ist unmöglich, sie zu vertreiben.
Und immer wieder taucht in meinen Gedanken der Mund auf, der gespenstische, drohende Mund …
Wenn ich nur einen Hammer nehmen könnte oder eine Axt, um damit auf das grinsende Gebiss einzuschlagen, um es zu zerbrechen, zu zerfetzen, zu zerstören …
Nein, ich will nicht daran denken. Wenn ich schon denken muss, dann wenigstens logisch. Das Unmögliche, das völlig Unglaubliche will ich einfach nicht als möglich zulassen.
Ich verschränke die Arme auf dem Tisch, lege den Kopf darauf und schließe die Augen.
Wenn es mir gelingt, so ein paar Minuten auszuruhen, wird es mir wieder gut gehen. Dann habe ich die Angst besiegt.
Warum erfüllt mich plötzlich das dringende Verlangen, mich aufzurichten und einen Blick über die Schulter zu werfen?
Bestimmt ist der Mund dort.
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