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005 - Tagebuch des Grauens

005 - Tagebuch des Grauens

Titel: 005 - Tagebuch des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.H. Keller
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Augen, um das Ding nicht zu sehen. Dann öffne ich sie wieder. Der Mund ist noch immer da.
    Ja, die Lippen öffnen sich, die beiden Zahnreihen entfernen sich voneinander. Man könnte meinen, dass der Mund sprechen wolle.
    Ich zittere am ganzen Leibe. Was hat diese Vision zu bedeuten? Was will mir der geisterhafte Mund mitteilen?
    Plötzlich erklingt ein grausames Lachen. Es klingt grell und schmerzverzerrt und gleichzeitig unmenschlich. Ein grässlicher Laut. Ich lege mir die Hände auf die Ohren, um ihn nicht hören zu müssen.
    Und Michel? Hört er ihn nicht?
    Wenn er plötzlich aus seinem Zimmer kommt, was soll ich tun?
    Ich weiß es nicht. Es ist mir unmöglich, angesichts der drohenden Zähne einen klaren Gedanken zu fassen. Und dazu noch dieses grauenvolle Lachen!
    Ich hebe die Hände vor die Augen. Dabei werden sie durchsichtig, und mein Blick geht durch sie hindurch wie durch Glas.
    Entsetzlich! Ich möchte zurückweichen, aber hinter mir ist der Treppenschacht.
    Dann herrscht wieder Stille. Anscheinend habe ich mir alles nur eingebildet.
    Langsam komme ich wieder zu mir. Ich muss weitergehen.
    Behutsam mache ich einen Schritt, dann noch einen. Jetzt habe ich die Schlafzimmertür erreicht. Ich lege die Hand auf die Klinke. Ich muss mich beeilen. Wenn der Mund noch einmal vor mir erscheint, bildet er ein Hindernis, das ich nicht überwinden kann.
    Noch einmal bleibe ich stehen, zum letzten Mal. Ich lege das Ohr an die Tür. Drinnen höre ich die leisen, regelmäßigen Atemzüge von Michel.
    Er schläft, der Mörder. Und ich werde dafür sorgen, dass er nie wieder aufwacht.
    Vorsicht, ich darf mich nicht aufregen. Ich muss ruhig bleiben, damit ich keinen Fehler begehe.
    Leise und unendlich langsam öffne ich die Tür. Das Heulen des Windes übertönt das Geräusch, das dabei entsteht. Ich nutze es aus, um ins Zimmer zu schlüpfen und die Tür rasch hinter mir zu schließen.
    Jetzt stehe ich in Michels Schlafzimmer. Er schläft ruhig weiter. Michel hat nichts gemerkt. Er ahnt nichts.
    Umso besser.
    Ich gönne mir zwei Minuten Ruhe, um meine Nerven zu entspannen. Langsam zähle ich bis einhundertzwanzig.
    Ich höre Michels ruhige Atemzüge. Sie weisen mir den Weg. Das Bett steht an der Wand. Wenn ich immer an der Wand entlanggehe, muss ich hingelangen. Bestimmt werde ich nicht gerade darauf zugehen. Ich will mich nicht wieder verirren.
    Seltsam, dass er meine Anwesenheit nicht spürt. Nein, er schläft.
    Ich schneide eine Grimasse. Wenn Michel mich sehen könnte, würde er sich fürchten.
    Ich bin kein Mensch mehr. Jetzt bin ich – ein Raubtier, das sein Opfer anschleicht, ein blutgieriges Raubtier.
    Ja, das ist aus mir geworden. Das hat der Mensch aus mir gemacht, der dort im Bett liegt und schläft.
    Jetzt kann mich nichts mehr von meinem Vorhaben abhalten. Nicht einmal eine übersinnliche Erscheinung.
    Zentimeter um Zentimeter nähere ich mich meinem Ziel, die Hand an der Wand. Wenn der Tod uns überrascht, ob er auch so leise kommt wie ich?
    Der Tod? Ich bin der Tod.
    Hat sich Michel jetzt nicht gerührt? Nein, sein Atem geht immer noch leicht und regelmäßig.
    Ich friere nicht mehr. Plötzlich fühle ich mich in bester Verfassung. Auch meine Hände sind nicht mehr erstarrt. Sie werden ihr Werk ohne Mühe vollenden können.
    Ich spüre das Bett vor mir, noch ehe ich es berührt habe. Da ist es! Das Holz ist kühl.
    Ich stehe am Kopfende. Langsam senkt sich meine Hand. Ich lasse mir Zeit. Jetzt kann Michel der tödlichen Umklammerung meiner Hände nicht mehr entgehen.
    Aber ich habe Zeit.
    Das weiche Deckbett reicht bis zum Kopfkissen hinauf. Behutsam taste ich darüber hin. Hier ist das Kissen, auf dem sein Kopf liegt, sein Hals.
    Gleich werden meine Finger seinen Kopf berühren.
    Ich beiße die Zähne zusammen und halte die Luft an. Das Geräusch von Michels regelmäßigen Atemzügen dringt an mein Ohr. Hier muss er sein, direkt vor meinen Händen. Nein, hier.
    Seltsam, ich finde ihn nicht.
    Aber er muss doch da sein. Ich beuge mich vor. Hier muss doch sein Kopf liegen!
    Meine Hände fahren über das Kissen. Jetzt bin ich auf der anderen Seite angekommen, ohne seinen Kopf berührt zu haben.
    Sein Kopf ist nicht auf dem Kissen!
    Das verstehe ich nicht. Ich höre ihn doch atmen!
    Wieder gleiten meine Hände über das Kissen. Nichts.
    Wo ist Michel? Ich höre ihn doch ganz deutlich atmen.
    Ich muss ihn finden. Rasch hebe ich das Deckbett hoch und taste über das Laken. Michel ist nicht da. Das Bett ist

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