0053 - Eine Frau, ein Mörder und ich
etwas anfangen.«
Wir ließen von den Spezialisten des Spurensicherungsdienstes die Handtasche öffnen, ohne daß eventuell vorhandene Fingerabdrücke zerstört wurden.
Der Inhalt unterschied sich in nichts von dem einer gewöhnlichen Damenhandtasche, Lippenstift, Puderdose, Spiegel, Taschentuch, Schlüsselbund, Zigarettenetui und Feuerzeug, Kamm, ein paar Haarklemmen, eine Geldbörse und verschiedene Kleinigkeiten, wie sie von einer modernen Frau nun einmal benötigt werden.
Aber in einem Seitenfaeh fand sich das, was sich so verhängnisvoll auswirken sollte: der Krankenschein einer privaten Krankenversicherung. Und darauf war eingetragen, daß Mrs. Prieve heute morgen wegen eines Halsleidens bei Dr. Sarah Kingsdon behandelt worden war. Wegen großer Schmerzen war ihr eine Morphiuminjektion gemacht worden.
Ian rieb sich die Hände. »Glück gehabt, Jerry!« rief er. »Der Fall ist ja bereits geklärt.«
Ich drehte mich um. Phil sah mir besorgt nach.
Gegen fünf waren wir wieder im Distriktgebäude. Wir gingen in die Kantine, um uns mit einem Glas Milch aufzumöbeln.
»Was wissen wir jetzt mit Sicherheit?« fragte Phil, während er ein paar Zettel mit Notizen vor sich ausbreitete.
»Nummer eins«, sagte ich. »Mrs. Prieve verließ die Sprechstunde bei der Ärztin laut übereinstimmender Aussage der Sprechstundenhilfe und der Ärztin kurz vor halb zehn. Gegen zehn Uhr aber war sie bereits in der 74. Straße, da sie ja nach der Meinung des Arztes zwischen zehn und elf spätestens gestorben ist. Was ergibt sich daraus?«
Phil breitete einen Stadtplan auf dem Tisch aus.
»Daraus ergibt sich, daß die Frau keine weiteren Besuche gemacht haben kann«, sagte er. »Um bis an die Stelle zu kommen, wo sie schließlich starb, sind auch bei günstigen Busverbindungen mindestens vierzig Minuten nöig.«
Ich seufzte. All dies hatte ich mir selbst schon hundertmal gesagt. Wenn es so war, konnte ja nur Sarah die Mörderin der Frau sein.
Ich hatte mit Sarah telefoniert. Sie hatte sofort zugegeben, daß sie bei Mrs. Prieve eine Morphiuminjektion gemacht hatte. Aber die Menge sei absolut ungefährlich gewesen, das könne sie beschwören — und jeder Sachverständige müßte es bestätigen können.
»Die Frau könnte vielleicht noch einen anderen Arzt aufgesucht und noch eine zweite Morphiuminjektion erhalten haben« sagte ich.
Phil schüttelte den Kopf.
»Der nächste Arzt wohnt sechs Häuserblocks weiter, Jerry. Danach habe ich mich bereits erkundigt. Wenn die Frau noch diesen Arzt aufgesucht hätte, dann wäre darüber so viel Zeit vergangen, daß sie den Bus um neun Uhr vierunddreißig nicht bekommen hätte. Sie muß aber diesen Bus noch mitgekriegt haben, sonst hätte sie nicht schon kurz nach zehn in der 74. Straße sein können.«
Ja, da hatte er recht. Denn daß die Frau in der 74. Straße war, das konnte kein Mensch bestreiten. Und daß sie nicht als Tote dort hingegangen sein konnte, verstand sich ja von selbst.
»Es ist zum Verzweifeln«, sagte ich. Phil schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Jerry, nimm es mir nicht übel, aber warum willst du nicht deiner Vernunft folgen? Warum willst du nicht zugeben, daß sich dein Gefühl auch irren kann — und daß es sich in diesem Fall geirrt hat?«
Ich stand auf.
»Ich werde mich noch etwas um die ganze Geschichte kümmern«, sagte ich. »Unternimm bitte mir zuliebe keine entscheidenden Schritte, bis ich wieder zurück bin.«
Phil zuckte die Achseln. »Meinetwegen«, sagte er. »Aber eigentlich wäre eine Verhaftung fällig.« Mir klangen seine Worte noch lange in den Ohren nach.
Ich setzte mich in den Jaguar und fuhr erst eine halbe Stunde lang kreuz und quer durch die Straßen der City, weil ich ungestört nachdenken wollte.
Da war also eine Frau an einer Überdosis Morphium gestorben. Diese Frau war unmittelbar vorher bei einer Ärztin in Behandlung gewesen. Sie hatte dort eine Spritze bekommen mit Morphium. Die Dosis sei aber absolut ungefährlich gewesen — sagte die Ärztin.
Zwischen dem Besuch bei der Ärztin und dem Eintritt ihres Todes hatte sie keine Zeit, noch einen anderen Besuch zu machen.
Aber konnte sie nicht vorher vielleicht bei einem anderen Arzt gewesen sein und schon eine Morphiuminjektion erhalten häben? Konnte es nicht sein, daß Sarah ihr ahnungslos auf Verlangen eine zweite Spritze gegeben hatte und so unwissentlich ihren Tod herbeigeführt hatte?
Ich fuhr in die 31. Straße.
Sarah öffnete sofort.
»Du hast Sorgen«,
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